ENDE GUT – ALLES GUT! / KRIEG UND FRIEDEN
Beim Lesen dieses Romans, der vor mehr als einhundertfünfzig Jahren erschien, vergisst man mitunter
leicht, dass er, als er erschien, schon in die Kategorie „Historischer Roman“ gehörte. „Krieg und Frieden“ ist geschrieben in den Jahren 1863-1869, der Stoff des Romans liegt in der russischen
Geschichte zwischen 1805 und 1813, der Epilog etwa im Jahr 1820, also sieben Jahre später.
Der sechsunddreißig jährige Tolstoi (Lew Nikolajewitsch Graf Tolstoi, 28. August jul. / 9. September 1828 greg. in Jasnaja Poljana bei Tula ; † 7. November jul. / 20. November 1910 greg. in Astapowo, heute Lew Tolstoi, in der Oblast Lipezk) trat diesen langen Marsch fast sechzig Jahre nach 1805 an; er war also ungefähr in der Lage eines Autors, der im Jahre 1973 einen Roman zu schreiben unternähme, der mit dem Jahr 1914 begänne.
Wenn da Leser und Kritiker gelegentlich klagen, dass Autoren sich fünfundzwanzig Jahre nach 1945 noch mit dem Zweiten Weltkrieg beschäftigen, so haben sie immer noch nicht begriffen, dass der Stoff nicht den Autor,
sondern der Autor den Stoff macht. Jeder Roman ist, wenn nicht utopisch, historisch, auch der sogenannte Gegenwartsroman. Schon die unvermeidliche Frist, die zwischen Schreiben und Drucklegung verstreicht, macht den verarbeiteten
Stoff zu Geschichte. Die zeitliche Distanz ist eine relative Größe, zumal nicht einmal die Geschichtswissenschaft zu „objektiven“ Ergebnissen kommt: alles bleibt umstritten, wird ständig korrigiert,
sobald sich neue Archive öffnen, irgendein Briefwechsel ausgegraben wird oder jemand einen neuen „Aspekt“ entdeckt. Dieses sind Zeiten der Veränderung.
Da aber der Satz von Arthur Schopenhauer, vom zureichenden Grunde des Werdens nur bei Veränderungen Anwendung findet, darf hier nicht unerwähnt bleiben, dass schon die alten Philosophen die Frage aufgeworfen haben, in welcher Zeit die Veränderung vorgehe? Sie könne nämlich nicht stattfinden,
während der frühere Zustand noch vorhanden, und auch nicht nachdem schon der neue eingetreten ist: geben wir ihr aber eine eigene Zeit zwischen beiden; so müsste, während dieser, der Körper weder im
ersten, noch im zweiten Zustande, z.B. ein Sterbender weder tot, noch lebendig, ein Körper weder ruhend, noch bewegt sein; welches absurd wäre! Die Bedenklichkeiten und Spitzfindigkeiten hierüber findet man
zusammengestellt in der ganzen philosophischen Literatur – Plato zum Beispiel hatte diesen schwierigen Punkt ziemlich cavalièrement (unverschämt)
abgefertigt, indem er behauptet, die Veränderung geschehe plötzlich und fülle gar keine Zeit; es sei also ein wunderliches, zeitloses Wesen, das denn doch in der Zeit eintritt.
Dem Scharfsinn des Aristoteles ist es demnach vorbehalten geblieben, diese schwierige Sachlage ins Reine zu bringen; welches er gründlich und ausführlich geleistet hat. Sein Beweis, dass
keine Veränderung plötzlich, sondern jede nur allmälig geschehe, mithin eine gewisse Zeit ausfülle, ist gänzlich auf der Grundlage der reinen Anschauung a priori der Zeit und des Raumes geführt, aber auch sehr subtil ausgefallen. Das Wesentliche dieser sehr langen Beweisführung ließe sich allenfalls auf folgende Sätze
zurückführen: An einander grenzen heißt, die gegenseitigen äußersten Enden gemeinschaftlich haben: folglich können nur zwei Ausgedehnte, nicht zwei Unteilbare, (da sie sonst Eins wären)
an einander grenzen; folglich nur Linien, nicht bloße Punkte. Dies wird nun vom Raum auf die Zeit übertragen. Wie zwischen zwei Punkten immer noch eine Linie, so ist zwischen zwei Jetzt immer noch eine Zeit.
Diese nun ist die Zeit der Veränderung; wenn nämlich im ersten Jetzt ein Zustand und im zweiten ein anderer ist. Sie ist, wie jede Zeit, ins Unendliche teilbar: Folglich durchgeht in ihr das sich Verändernde unendlich viele Grade, durch die aus
jenem ersten Zustande der zweite eventuell oder vielleicht erwächst. – Gemeinverständlich ließe sich die Sache so erläutern: Zwischen zwei
sukzessiven, also schrittweisen, Zuständen, deren Verschiedenheit in unsere Sinne fällt, liegen immer noch mehrere, deren Verschiedenheit uns nicht wahrnehmbar ist; weil der neu eintretende Zustand einen gewissen
Grad, oder Größe, erlangt haben muss, um sinnlich wahrnehmbar zu sein. Daher gehen demselben schwächere Grade, oder geringere Ausdehnungen voraus, welche durchlaufend eher zufällig entstehen. Dieses zusammengenommen,
begreift man unter dem Namen Veränderung, und die Zeit, welche sie ausfüllen, ist die Zeit der Veränderung.
Wenden wir dies z. B. auf einen Körper an, der angestoßen wird; so ist die nächste
Wirkung eine gewisse Schwingung in seinem Innern, welche, nachdem sie durch den Impuls, in äußere Bewegung gerät.
Aristoteles schließt ganz richtig, aus der unendlichen Teilbarkeit der Zeit, dass alles diese
Ausfüllende, folglich auch jede Veränderung, d.i. Übergang aus einem Zustand in den andern, ebenfalls unendlich teilbar sein muss, dass also Alles, was entsteht, in der Tat aus unendlichen Teilen zusammenkommt, mithin stets vielleicht, aber nie plötzlich wird. Aus den obigen Grundsätzen und aus dem daraus folgenden
allmähligen Entstehen jeder Bewegung, zieht er die wichtige Folgerung, dass nichts Unteilbares, folglich kein bloßer Punkt, sich bewegen könne. Dazu passt auch sehr schön Kants Erklärung der Materie, dass sie „... das Bewegliche im Raum.“ ist.
Dieses also zuerst von Aristoteles aufgestellte und bewiesene Gesetz der Kontinuität und Allmähligkeit
aller Veränderungen finden wir von Kant sehr gut dargelegt: nämlich in seiner Dissertation: in der „Kritik der reinen Vernunft“; und in den „Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft“, und am Schluß, in der „Allgemeinen
Anmerkung zur Mechanik“. An allen drei Stellen ist seine Darstellung der Sache kurz, aber auch nicht so gründlich, wie die des Aristoteles, mit der sie dennoch im Wesentlichen ganz übereinstimmt; daher nicht
wohl zu zweifeln ist, dass Kant diese Gedanken direkt, oder indirekt, vom Aristoteles übernommen hat; obwohl er ihn nirgends ausdrücklich erwähnt.
Der Satz des Aristoteles, „zwischen zwei Augenblicken gibt es immer eine Zeit“; gegen welchen sich einwenden ließe: „Zwischen zwei Jahrhunderten ist keine Zeit; weil es in der Zeit,
wie im Raum, eine reine Grenze geben muss“. Das stimmt zwar nicht, aber es wird immer mitgedacht!
Statt also den Aristoteles zu erwähnen, will Kant, in der ersten und ältesten der angeführten
Darstellungen, jene von ihm vorgetragene Lehre mit der Kontinuität von Leibnitz identifizieren. Wäre diese mit jener wirklich dieselbe, dann hätte Leibnitz die Sache jedoch vom Aristoteles.
Nun hat Leibnitz, nach seiner eigenen Aussage, sie zuerst aufgestellt, in einem Brief an Piere Bayle,
wo er es jedoch „principe de l'ordre général - Prinzip der Allgemeinheit“ und unter diesem Namen ein sehr allgemeines und unbestimmtes, vorzüglich geometrisches Räsonnement (d. h. vernünftiges Urteil) nennt,
welches auf die Zeit der Veränderung, die er gar nicht erwähnt, keine direkte Beziehung hat.
Nun gut, dieses ist nicht einwandfrei überliefert! Aber es ändert sich alles im Raum, und
es geschieht ständig.
Auch vor dem Hintergrund umstrittener Daten der deutschen Geschichte, z. B. dem 30. Januar 1933 (Mit Machtergreifung - auch Machtübernahme bzw. Machtübergabe - wird die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler durch Reichspräsident Paul von Hindenburg am 30. Januar 1933 bezeichnet, im Kontext
aber auch die anschließende Umwandlung der bis dahin bestehenden parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik in eine nach dem Führerprinzip agierende zentralistische Diktatur. Hitler übernahm die Führung
einer Koalitionsregierung von NSDAP und nationalkonservativen Verbündeten - DNVP, Stahlhelm -, in welcher neben ihm vorerst zwei Nationalsozialisten Regierungsämter bekleideten. Nachdem am 1. Februar der Reichstag
aufgelöst worden war, schränkten die Machthaber in den folgenden, von nationalsozialistischem Terror gekennzeichneten Wochen die politischen und demokratischen Rechte durch Notverordnungen ein. Als entscheidender
Schritt auf dem Weg zur Diktatur gilt dabei die Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar 1933.), sowie dem 30. Juni 1934 (Der Röhm-Putsch, Ereignisse Ende Juni/Anfang Juli 1934, bei denen die Nationalsozialisten die Führungsebene der SA einschließlich Stabschef Ernst Röhm ermordeten. Die nationalsozialistische
Propaganda stellte die Morde als präventive Maßnahme gegen einen angeblich bevorstehenden Putsch der SA unter Röhm – den sogenannten Röhm-Putsch – dar. In der Folge wurde der Begriff Röhm-Putsch
nicht mehr nur für den angeblichen Putsch, sondern für die gesamten Ereignisse einschließlich der Morde benutzt. In der „Nacht der langen Messer“, am 30. Juni / 1. Juli 1934, wurden Ernst Röhm
und weitere auf Hitlers Anweisung am Tegernsee zusammengerufene Funktionäre der SA-Führung verhaftet und – zum Teil noch in derselben Nacht – ermordet. Weitere Ermordungen folgten in den nächsten
Tagen. Es sind namentlich etwa 90 Ermordete nachzuweisen, einige Forscher gehen aber weiterhin von einer Gesamtzahl von etwa 150–200 Toten aus. Dazu gehören außer SA-Mitgliedern weitere von der nationalsozialistischen
Führung als feindlich eingeschätzte Personen, darunter bekannte Persönlichkeiten wie z. B. Kurt von Schleicher, Hitlers Amtsvorgänger als Reichskanzler. Daneben gab es aufgrund von Verwechslungen auch Zufallsopfer.
Die vor allem auf Betreiben von Hitler und Hermann Göring lange vorbereitete „Säuberungswelle“ wurde durch Kommandos der SS mit Unterstützung der Gestapo und der Reichswehr durchgeführt. Zugrunde
lagen der Mordaktion NS-interne ideologische Differenzen und machtpolitische Spannungen zwischen der SA und Teilen der NSDAP, auf deren Seite Hitler stand. Nach den Morden verlor die SA ihre politische Bedeutung, die SS wurde
selbständig und nahm eine wichtige Rolle ein. Die Führung der Reichswehr ließ nach dem Tod von Reichspräsident Paul von Hindenburg am 2. August 1934 die Reichswehr auf Hitler vereidigen.), und dem 20.Juli 1944 (Das Attentat auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 gilt als bedeutendster Umsturzversuch des militärischen
Widerstandes in der Zeit des Nationalsozialismus. Als Voraussetzung für den geplanten Machtwechsel, auch unter dem Gesichtspunkt des „Eides auf den Führer“, wurde die Tötung Hitlers angesehen. Die
von Claus Schenk Graf von Stauffenberg bei einer Besprechung im Führerhauptquartier Wolfsschanze – Wolfsschanze war der Tarnname für ein militärisches Lagezentrum des Führungsstabes der deutschen
Wehrmacht und eines der Führerhauptquartiere während des Zweiten Weltkrieges in der Nähe von Rastenburg (heute Kętrzyn) beim Dorf Görlitz (Gierłoż) in Ostpreußen, im heutigen Polen.
- deponierte und scharf gemachte Sprengladung verletzte den Diktator jedoch nur leicht. Dieser Fehlschlag sowie Lücken in der Vorbereitung und das Zögern beim Auslösen der Operation Walküre, des Plans zum
Staatsstreich, ließen den Umsturzversuch scheitern. Die Beteiligten der Verschwörung, die Personen des 20. Juli 1944, stammten vor allem aus dem Adel, der Wehrmacht und der Verwaltung. Sie hatten vielfach Kontakte
zum Kreisauer Kreis um Helmuth James Graf von Moltke. Unter den mehr als 200 später wegen der Erhebung Hingerichteten waren Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben, 19 Generale, 26 Oberste, zwei Botschafter, sieben Diplomaten,
ein Minister, drei Staatssekretäre sowie der Chef des Reichskriminalpolizeiamts; des Weiteren mehrere Oberpräsidenten, Polizeipräsidenten und Regierungspräsidenten.), sind schon ganze Bibliotheken von Forschungsergebnissen und Analysen angehäuft. und immer noch bleibt vieles dunkel, unerklärlich., und so unternehmen History, Psychologie und Literatur, getrennt
voneinander, Erklärungsversuche. Es gibt wahrscheinlich keine Konkurrenz zwischen irgendeiner Wissenschaft und etwa der Literatur; denn die Literatur unternimmt auf ihre Weise Annäherungsversuche, indem sie dem geschichtlichen
Stoff Personen auflädt, die keine „Geschichte gemacht haben“.
Es mögen sich die Distanzen verringern, der Wunsch der zeitgenössischen Leserin und des
zeitgenössischen Lesers, mit der Geschichte „fertig“ zu werden, sie als „abgefertigt“ betrachten zu dürfen, dem ein immer größer werdendes Maß an miterlebter und anfallender
Geschichte entspricht, ist verständlich. Das Verlangen nach Gegenwart und Gegenwärtigkeit ist groß, die Abneigung gegen Geschichte wächst wie die Hinwendung zu Theologie und das Verlangen nach Mythos und
Religion, oft schwer erkennbar und gelegentlich „pervers“ verkleidet. Mit dieser Geschichtsüberfütterung hat wahrscheinlich der Wunsch nach neuen Ausdrucksformen. nach dem permanenten Kunstwerk zu tun,
das sich mit jedem Ruck des Sekundenzeigers verändert und doch bleibt, Vergänglichkeit in Unvergänglichkeit aufgehoben.
Jeden Tag ein halbes Dutzend geschichtliche Augenblicke; unterzeichnete Verträge, gebrochene
Verträge, immer Krieg, permanent Bürgerkrieg, und ständig gebrochene Waffenstillstände; Interventionen, Militärhilfe, Invasionen, die Strategie des Euros, und immer nur Krieg. Den gibt’s aber
nicht wirklich, jedenfalls zum Glück nicht bei uns. Wir leben in tiefem Frieden. Manchmal kleine Demonstrationen von Türken; Studentendemos, schon lange nicht mehr, streikende Arbeiter gibt es auch nicht aber hin
und wieder lüftet ein investigativer Journalist, ein Autor, Maler oder Komponist den Deckel über ganze Regionen: Syrien, Libyen, Ägypten, Irak, Afghanistan, Mittelamerika, Afrika, usw., und wir erfahren ein
wenig von der wirklichen Geschichte ganzer Kontinente, deren offizielle Geschichte anderswo bestimmt und geschrieben wird. Wir erfahren zu viel und zu wenig, und in dem Augenblick, wo es gepostet wird, ist alles schon geschehen,
also Geschichte, Zeit der Veränderung!
Was hat nicht alles „Geschichte gemacht“? Plötzlich fällt da etwas, ein greifbares,
fürchterliches Zeichen: zwei Türme in New York City; ist denn „nine eleven“ nicht, vom Standpunkt eines stoffbesessenen Autors aus, der sich ansonsten weigern sollte, Überschriften für die BILDungszeitung
zu liefern, eine Antwort auf Gegenwart und Vergangenheit zugleich? Und auf angehäufte Geschichte, die mit den Deutschordensrittern begonnen haben mag (wahrscheinlich noch viel früher) und aus einem jahrhundertealten
Misstrauen, Umwerben, aus Angst und Bewunderung zugleich, aus missglückten Versuchen des einander Verstehens vom Osten nach dem Westen und umgekehrt, sowie Unterwerfungsversuchen nach beiden Richtungen.
Und man bedenke, dass die Geschichte in Europa, als sie noch von zwei Ländern halbwegs „gemacht“
werden konnte, auf zwei Personen ruhte, Vettern, die einander mit „Dear Willy“ und „Dear Nicky“ anredeten, zwei extrem traurigen und absurden Gestalten, „Geschichtsträgern“ Europas,
und dass es da einen ersten und zweiten Weltkrieg gab und noch keinen Frieden; dass Geschichte gemacht wurde von Menschen, für die Europa am Rhein, wenn's hochkommt, an der Elbe aufhört, dauernde Kränkungen,
Lockungen, im Tweedrock der Freiheit - und plötzlich steht da eine Mauer, die ein- und aussperrt; Schotten dicht, den Rücken zugekehrt.
Dear Willy! Dear Nicky! Der eine war auf eine verrückte Weise zu „deutsch“ und der
andere auf eine verrückte Weise zu „russisch“, und beide hatten sie „englische“ Physiognomien. Eine wahnwitzige „Vetternwirtschaft“, und die uralte Angst Westeuropas, dass diese beiden
Riesen, von denen der eine ganz, der andere halb östlich ist, einander hätten in die Arme fallen können. Angst vor und Hoffnung auf Deutschland, verwandelt später in eine permanente Verkennung der Wünsche
und der politischen Kraft jener vielfach verratenen „deutschen Arbeiterklasse“.
Und da gibt es ja nicht nur und gab nicht nur Russland und die Sowjetunion; Polen gibt es und Litauen,
Lettland, Estland, und es gibt da einen Staat, der Tschechoslowakei heißt, in dem man eine unsichtbare, schreckliche Mauer - Die Deutschen in der Prager Gesellschaft zwischen Abkapselung und Interaktion (1918–1938/39) - errichtet hat. Und es gibt da auf irgendwelchen Landkarten, die bei Konferenzen benutzt werden, seltsam ungenaues Bleistiftgekritzel, wirres Gekräusel: verkannte Geschichte Osteuropas,
Asiens, Arabiens, besonders Arabiens .... Eins ist gewiss: „Keiner“ da am Konferenztisch kannte die Geschichte.
Und plötzlich, viele, viele Jahre später nach so mannigfaltigsten Missverständnissen,
steht da eine Mauer, an der sich Geschichte staut, weil immer noch kein Frieden geschlossen ist. Kein Krieg und kein Frieden. Und zum vorläufigen Ende einer kaum messbar langen Geschichte stehen Hochhäuser an einer
Mauer, ein Hotel, von dem aus man „von oben herab“, ganz und gar in „Menschenwürde“ gekleidet, auf jene hinabblicken kann, die man schamlos besichtigt; selbst Staatsbesucher scheuen sich nicht,
das Treppchen hinaufzusteigen und kopfschüttelnd, empört, bewegt, einmal rasch hinüberzublicken und so zu tun, als hätte es nie einen ersten, und auch keinen zweiten Weltkrieg gegeben, nicht Hitler oder
Napoleon, nicht die permanente Arroganz des Westens gegenüber dem Osten, nicht die Un- und Untermenschenideologie und keine Konferenzen in Yalta und Potsdam und nicht die naive Vorstellung geschichtemachender Militärs,
Berlin wäre ja dann doch nicht so wichtig.
So haben Ost und West sich auf einen Besichtigungswert reduziert. Nur ein totaler Poet kann Geschichtslosigkeit
anstreben oder sie einfach als künstliche Position einnehmen - und außerdem können es offenbar Politiker oder geschichtemachende Militärs, die verletzliche und vielfach verletzte Grenzen, diesen europäischen
Grenzwirrwarr alexandrinisch zu lösen versuchen, ohne Alexander zu sein. Bei denen, die Poesie ohnehin ablehnen - auf der Suche nach einer neuen, die anders heißen wird - und sich gleichzeitig gegen die plumpen
politischen und militärischen Versuche empören, die einer ähnlichen Verkennung von Geschichte entsprechen.
Nun jedenfalls erklärt die Lektüre von „Krieg und Frieden“ - u. a. natürlich,
das ist vorausgesetzt - die Mauer in Berlin besser als die beiderseits recht hohl klingenden Parolen, und es ist auch eine Tatsache: Eine solche Verteidigung eines doppelt historischen Romans ist sehr weit hergeholt. Möglicherweise
lässt sich das Naheliegende durchs Weit hergeholte, aber nicht so, wie Yaşar Kemal in seinem Debütroman „Das Unsterblichkeitskraut“ schreibt: „...
Es dauerte nicht lange, da war es in aller Munde: Ali der Lange zieht dieses Jahr nicht mit in die Ebene. Jeder suchte eine Erklärung. Zuerst hielten sie es für eine List, dachten an böse Absichten. Ali musste
schließlich einen Grund haben. Irgendetwas musste ja für ihn dabei herausspringen. Sein Verbleiben im Dorf musste ihm bestimmt mehr einbringen als die Arbeit in den Baurnwollfeldern. Aber wie? Und woher? Sie überlegten
hin und her, fanden aber weder eine naheliegende noch eine weit hergeholte Erklärung....“, manchmal ganz gut erklären. Was ist das für ein Land, in dem die Deutschen sich immer
„russischer“ geriert haben als die Russen selbst, so wie die Deutschen immer päpstlicher als alle Päpste und vor allem ihr eigener waren? Es gibt Möglichkeiten, sich dieses
Land anzuschauen: die gesamte Literatur Russlands, Riesenspaziergänge, einer davon und einer der wichtigsten ist „Krieg und Frieden“.
Ein zweifach historischer Roman von diesem gewaltigen Umfang! Dieses Buch ist auf verschiedenen Ebenen
ständig gegenwärtig. Seine ungebrochene und ununterbrochene Beliebtheit hat viele Gründe. Der erste mag der keineswegs verwerfliche Wunsch nach Information sein, der mit dem zweiten zu tun hat, den man mitunter
lieber negativ ausdrückt, weil manchmal das Verhältnis zur „Unterhaltungsliteratur“ auf eine krampfhafte Weise gebrochen ist: das Buch langweilt nicht; es hat Längen, gewiss, ganze Passagen, in denen
der Autor eigensinnig und eigenwillig darauf besteht, seine Ansichten darzulegen; es sollte jeder Leserin und jedem Leser eine Warnung sein davor, diese Passagen überschlagen und sich den Eigensinn des Autors Tolstoi
ersparen zu wollen. Jedem Autor seine Wörtlichkeit, jedem Autor seine Längen, seinen Eigensinn. Das Verhältnis zur Wörtlichkeit ist manchmal eher bildungsverkrampft - Sean Penn meinte einmal dazu: „...
es ist nicht endgültig, es klingt aber immer so irrsinnig überbetroffen und bildungsverkrampft, diese betuliche, humorlose Bitte-ich-weiß-auch-etwas-Attitüde, das stößt doch ab“. Eine Sache, die verständlich ist, sich mitteilen kann, ist schon fast verdächtig, journalistisch zu sein, eine Sache gar, die „unterhält“, ist das nicht, um Gottes willen, wie
heißt es doch, ja natürlich, das ist doch „feuilletonistisch“.
Die „eigentliche“ deutsche Sprache ist doch jener pseudomystische Jargon, den man unter
Eingeweihten Mittelhochböhmisch nennt. Eine Sache muss schwer sein, fast unverständlich, und wenn sie gar am Ende noch „populär“ wird - dann aber rasch die Finger weg, da macht man sich ja regelrecht
schmutzig, denn populär bedeutet ja wohl doch „im Grunde“ vulgär. Einer, der liest, nur um zu lesen, einfach, um zu lesen, weil es ihm möglicherweise Spaß macht, dem fehlt doch jeder Anspruch!
Und jeglicher Bildungswille, wahrscheinlich die entsprechende Vorbereitung und ganz gewiss die Vorbildung. Wie kann denn jemand zum Beispiel Tolstois Napoleon-Bild beurteilen, wenn er historisch ungebildet ist? Was ist das
für ein Mensch, der da ganz und gar unvorbereitet nach Italien fährt und sich etwa mit der erstaunlichen Stadt Rom konfrontiert? Wer bekennt sich schuldig: wer ist so eine, wer ist so einer, eine Leserin, ein Leser?
Und auch nach der dritten, vierten und fünften Lektüre von „Krieg und Frieden“
ist die Neugier noch nicht gestillt, jene Neugier, die Literaturkritiker bis zur Raserei treiben, Leserinnen und Leser verrückt machen, die neugierige Frage nämlich: wo steckt denn in einem solchen Roman dieser Kerl,
der Autor, wie hat er sich getarnt, wo hat er sich versteckt? Natürlich spürt man ihn gleich, wenn er den Zeigefinger hochhebt und zu dozieren beginnt, aber was nützt mir ein Zeigefinger, ich will den ganzen
Kerl haben, ihn sehen. Einem eingefleischten Vorurteil zufolge - wer mag das aufgebracht haben? - versteckt sich der Autor meistens in irgendeiner sympathischen Heldin oder einem Helden? Manche glauben, ja, oder sie glauben
- denn wissen tun sie nicht viel! - das nicht. Möglicherweise gäbe es eine Möglichkeit, den Autor wirklich in seinem „Gesamtwerk“ zu entdecken: man addiere sämtliche Personen, sämtliche:
vom Diener, der einen Krug Wasser bringt und endgültig wieder verschwindet, bis zu irgendeiner Art von geschichtlicher Persönlichkeit, Napoleon oder so - sämtliche Personen, die da auf- und wieder abtreten,
männliche und weibliche, ganz gleich, ob es sich um einen Autor oder eine Autorin handelt - und ziehe dann aus dieser Summe die vierte Wurzel. Zugegeben, es gibt keinen der diese Methode beherrscht und alle Hoffnungen
ruhen auf der zukünftigen Informatik, die eines Tages jegliche Art von Autor auf irgendeinem Server ausrechnen kann. Bis dahin muss man den Autor auf die übliche unzulängliche Art und Weise ausfindig machen:
indem man sein gesamtes Werk liest und jeder, aber auch jeder auftretenden Person auf die Finger und auf den Mund schaut, wenn nötig, sogar unter den Rock.
Biographien sind gewöhnlich missglückte Annäherungsversuche, Autobiographien peinliche,
manche glauben - und wieder dieser verfluchte Glaube! -, die Autobiographie eines Autors verbirgt sich in seinem Gesamtwerk. Neugierig ist man aber nicht nur auf den Autor, auch auf anderes: auf die stoffliche, die materielle
Darbietung des russischen Adels; seine Leichtfertigkeit und seinen Leichtsinn, seine möglichen Verdienste, seine Verschwendungssucht, seine snobistische Vergnügungssucht; auch die Frage nach seiner Menschlichkeit
ist noch völlig offen.
Es gibt in „Krieg und Frieden“ sehr viele „geschichtliche Augenblicke“, in
denen die ganze Last der Geschichte auf historisch unbedeutende Personen fällt. Natascha Rostow, die einige „Auftritte“ hat, hat ihren größten in der Stunde der Flucht aus dem brennenden Moskau.
Der für Millionen Menschen auf dieser Welt sehr gegenwärtige quälende Unterschied zwischen Flucht und Umzug allgegenwärtig ist. Und gerade für die Besitzenden - und da rächt sich wieder einmal
die Geschichte! - von besonderer Qual.
Während die Rostows ihre Flucht vorbereiten, wobei man feststellt, dass es sogar einen Garderobenwagen
gibt und einen hauseigenen deutschen Tanzlehrer mit Familie, bricht der übliche Streit aus, was denn nun mitgenommenen werden soll; darüber hinaus wird schließlich die Entscheidung fällig, ob man sich
für Möbel, Kleider, Bücher oder für Verwundete entscheiden soll. Um das Maß voll zu machen, naht da noch der deutsche Schwiegersohn Berg, er hat Extramöbelwünsche, es ist ihm da ein „reizender
Toilettentisch“, ein „wahrhaft entzückendes Stück“ und spottbillig - eigentlich ein unbedeutender Mensch, wenn die ganze Stadt abbrennt - angeboten worden, genau das Stück, das er seiner Frau
schon lange schenken wollte.
Und wer entscheidet diesen Streit, der sich zu einem Gewitter an Gereiztheit zusammenballt? Nicht
der Herr Graf, nicht die Frau Gräfin oder gar der durchschnittliche Herr Berg, der „Deutsche!“; die zwanzigjährige Natascha hat ihren historischen Augenblick. Ihr Auftritt besteht darin, das Selbstverständliche
zu entscheiden, und sie drückt sich recht deutlich aus: „Meiner Meinung nach“, schreit sie, „ist das eine Gemeinheit, eine Scheußlichkeit, eine totale Scheiße . . . ach, ich weiß nicht!
Sind wir denn vielleicht wie die verkalkten Deutschen?“. Wird ein echter Bio-Deutscher mit diesem Volltreffer konfrontiert, so wird er betrübt sein und gleichzeitig triumphieren, triumphieren mag er sogar als Deutscher,
da es ihm so sehr am Selbstverständnis fehlt, oder wie man das nennt, dann aber wird er, muss er betrübt sein als Exemplar jener Gattung, die Mensch heißt, und zu der er - mag's noch so unwahrscheinlich
klingen - letzten Endes doch gehört.
Natürlich gibt es diesen Besitzfetischismus, der Millionen Fluchten kennzeichnet, der sich an
Einmachgläser, Kopfkissen oder Blumentöpfe klammerte. Ist das deutsch? Sind nicht Nataschas Mutter, ein wenig sogar ihr Vater, der sich nicht zum Selbstverständlichen entscheiden kann, ein bisschen deutsch,
vielleicht haben die Deutschen erst im Zweiten Weltkrieg gelernt, jenen seltsamen Besitz zu schätzen, den man das nackte Leben nennt; man hat ihnen wohl nie beigebracht, um des Lebens willen zu leben - so wenig, wie um
des Lesens willen zu lesen. Ihr Fluch ist auch ihr Segen, diese ständige Suche nach dem „Sinn“ des Lebens - und mag er sich auch, zum Fetisch pervertiert, in einem Blumentopf finden.
Nataschas energisches Auftreten hat aber auch, und das macht diese Entscheidung so menschlich wie
„romanhaft“, die Konsequenz, dass mit den Verwundeten ihr ehemaliger Verlobter Andrej Bolkonskij in die Obhut der Familie Rostow und damit wieder in Nataschas Nähe gerät.
Der moderne Roman (-cier) verachtet solche Fädeleien, der Lesende beginnt hier, seiner Naivität
nicht mehr zu glauben, der Unvoreingenommene mag sich aber getrost seinen Gefühlen und Gedanken hingeben und sich sagen: „Nein, so was! Ist das denn möglich? Gibt´s doch gar nicht!“. Er soll auch,
ohne auch nur die geringsten Komplexe zu bekommen, derart eingefädelte Romanwirklichkeit für eine „wahre Geschichte“ nehmen und immer noch auf das Happy-End warten, nicht jenes, das sich am Schluss wirklich
ereignet, sondern auf das vorgeschobene Ideal-Happy-End, in dem Andrej Bolkonskij und Natascha Rostow sich „gefunden“ hätten, na ja, vielleicht?
Wissen sollte die Leserin und wissen sollte auch der Leser, dass Tolstoi für „Krieg und
Frieden“ tatsächlich den banalsten aller banalen Romantitel eine Zeitlang erwogen hat, nämlich: „Ende gut - alles gut“! Ein für Intellektuelle möglicherweise abschreckender Titel, der
sie höchstens auf ein paar Umwegen anziehen könnte. Aber nur wenige Romane der Weltliteratur sind so geeignet, das Lesen zu lehren, wie eben „Krieg und Frieden“.
Schon im ersten Teil des Romans, der ein knappes Zehntel des Gesamtumfanges ausmacht, erfolgt der
Ein- und Aufmarsch des gesamten Personals, das sich je nach Zeit, Geschichte, Zeitgeschichte und Milieu, mit dem entsprechenden Nebenpersonal umgeben, finden wird; dieses Personal, das Tolstoi streckenweise mit ganzen Kapiteln
Philosophie und Militärgeschichte zudeckt, aus dem es sich dann, den Staub von den Haaren schüttelnd, wieder lebendig erhebt. Schon nach knapp einhundertfünfzig Seiten sind sie alle da: die Kuragin, Rostow,
Drubezkoj und Bolkonskij, und es taucht jener merkwürdige, linkische und dickliche Mensch auf, dieser ewig zerstreute Pierre Besuchow, der die schlafwandlerische Sicherheit hat, im rechten Augenblick an der rechten Stelle
aufzutauchen, um - wie der Tölpel im Märchen - das schönste Mädchen, das meiste Geld, die meiste Geschichte einzuheimsen: die gewaltige Erbschaft seines Vaters, auf die er angesichts der intrigierenden
Gestalten im Sterbezimmer und angesichts seiner Ungeschicklichkeit wenig Aussicht hat; die Schlacht bei Borodino, den Brand Moskaus, Napoleons Lächerlichkeit, außerdem noch jenes Erlebnis, das in solchen Zeitläufen
kein Zeitgenosse versäumen sollte: Gefängnis und Gefangenschaft; und am Schluss bekommt er sogar noch die Prinzessin, Natascha. Pierre Besuchow hat eine verfluchte Ähnlichkeit mit jenem Burschen, der mit einer
toten Krähe und ein wenig Straßenschlamm in der Tasche der melancholischen Prinzessin als einziger zu Braten, Soße und Lachen verhilft.
Tolstoi ist mit Besuchow etwas gelungen, das kaum einem Romancier außer ihm gelungen ist: einen
Helden zu schaffen, den man ganz sympathisch findet, mit dem man sich aber kaum „identifizieren“ möchte? Es gibt so viele Tölpel, und so wenige davon bekommen die Prinzessin, und wer möchte schon
ein Tölpel sein, auf die geringe Chance hin, die ein Märchen bietet?
Wer würde, beim lesen des Romans, darauf wetten, dass es mit diesem Pierre ein “Ende gut
- Alles gut“ nehmen könnte. Dieser liebenswürdige mittelmäßige Mensch, der grüblerisch und doch kein rechter Grübler ist, der zwar eindeutig und nachweisbar männlichen Geschlechts
und doch kein „rechter Mann“ ist, dieser Brillenträger, dem man nicht einmal seine Flatterhaftigkeit so recht glaubt, ihm gegenüber wird sogar der gewaltige General Kutusow zur Charge; dieser Dilettant,
dem die Reformen auf seinen Gütern misslingen, weil er viel zu faul ist, sich mit den entsprechenden Theorien zu befassen und die richtigen Leute zu suchen; der sich durch den ältesten und dümmsten aller Tricks
mit Helene Kuragin verkuppeln lässt, durch das brennende Moskau stolpert, den kindlichen Gedanken im Kopf, Napoleon umzubringen; ein missglückter Millionär, der am Lagerfeuer froh wird um einen Schlag Suppe
und ein Stück Brot: er ist der Held, und er, er führt die Braut heim. Ihm gehört Natascha; er gerät, zufällig und ahnungslos an den Punkt, wo die Schlacht von Borodino sich entscheidet: er, der in
peinlichem Zivil durch die Aufmarschstellungen fährt, er wird zum „Frontkämpfer“.
Tolstoi kommt der Leserin und dem Leser ständig entgegen und schreckt ihn ständig wieder
ab, weil er immer wieder den warnenden Zeigefinger erhebt. Nirgendwo wird auch nur andeutungsweise etwas wie Anbiederung versucht, die sich sowohl in bloßem Entgegenkommen wie in bloßer Abschreckung verbergen kann.
Hat Tolstoi nicht als erster Autor dem Krieg jene Komponente gegeben, die man immer noch scheut, weil
„Heldentum und Schicksal“ doch immer noch als Tabu gelten: die Komponente der Lächerlichkeit derjenigen, die Kriege machen?
Dostojewskijs „Raskolnikow“ („Schuld und Sühne“) und „Der Idiot“
sind fast gleichzeitig mit „Krieg und Frieden“ erschienen (1866 und 1868), da man kaum annehmen kann, die beiden hätten einander auf den Schreibtisch geblickt - und blicken lassen! -, mag es Zufall sein, dass
„Raskolnikow“ und Fürst Myschkin („Der Idiot“) gewisse Ähnlichkeiten mit dem dicklichen Pierre haben. Natürlich sind weder Raskolnikow noch Myschkin auch nur annähernd dick vorstellbar,
möglicherweise aber steckt in solch scheinbar nebensächlichen physiologischen Details ein Ansatz, die beiden großen Gegensätze der russischen Literatur des 19. Jahrhunderts in ihrer Verschiedenheit zu
erkennen und in ihrer gegensätzlichen Methode der Verstofflichung ihrer Vorstellungen.
Die allermeisten jedenfalls denken sich Raskolnikow und Myschkin extrem mager, die einzigen jugendlichen
Helden Dostojewskijs, denen man eine gewisse Leibesfülle zubilligen könnte, wären der unglückliche Michail Karamasow („Die Brüder Karamasow“) und der ungemein sympathische Rasumichin, Raskolnikows
Freund; und es mag auch sein, dass Aljoscha Karamasow später ein wenig Fett ansetzen würde.
Nur wenige Male auf mehr als eintausend-fünfhundert Seiten gerät Pierre Besuchow in jenen
Zustand, der jugendlichen Dostojewskij-Helden nicht nur vertraut, der ihnen permanent ist: außer sich. In einer Auseinandersetzung mit seiner extrem bösen Frau Helene und nach der Entführung Nataschas durch
seinen Schwager Anatol. In solchem Augenblick ist er duellreif und weiß doch vorher, wie lächerlich Duelle sind.
In einem weiteren Detail der Verstofflichung unterscheiden sich Dostojewskij und Tolstoi, in dem erscheinen
von menschlichen Gestalten in ihrer ganzen Metzenhaftigkeit. So hält man Sonja Marmeladova („Schuld und Sühne“) für eine der unsterblichen Frauengestalten der Weltliteratur, aber eins glaubt niemand
ihr bis heute nicht: dass sie eine Hure war; der Maslova in Tolstois „Auferstehung“ glaubt man´s schon eher! Wie sie dazu geworden ist, wäre eine weitere Frage.
Der Leserin und dem Leser mag dieser Aufmarsch des gesamten Personals auf den ersten einhundertfünfzig
Seiten eines Romans nicht so waghalsig vorkommen wie dem Nichtleser. Alle großen Romane Tolstois sind „gewagt“ - und gewonnen: „Krieg und Frieden“, „Anna Karenina“ und auch „Auferstehung“.
Im ersten Teil von „Krieg und Frieden“ tritt die Moskauer, die Petersburger Gesellschaft,
der Land- und der Stadtadel fast in Regimentstärke an, ganze Sippen, Gute und Böse, Geschwätzigkeit, Frömmelei, Verworfenheit, Kinder, Erwachsene, Greise, französisch parlierend, verspätete Voltaires
und Rousseaus; Intrigantentum, Großzügigkeit, Gemeinheit. Was soll aus ihnen allen werden, vor allem aus diesem Tölpel Besuchow, der zu allem Überfluss auch noch das Herz auf der Zunge trägt? Vierzehnhundert
Seiten später ist die Beute eingebracht: Krieg, Frieden, Russland zwischen 1805 und 1813, seine Gesellschaft, seine Angst, seine unheimliche Ruhe, seine Bauern, seine Soldaten, Kaufleute, sein listiges Zögern gegenüber
Napoleon, der die Räumung Moskaus missversteht. Vor den Toren Moskaus die Ehrenerweisungen der Bojaren erwartet. der recht ärgerlich ist, weil sie ihn so lange warten lassen, und dann in die schweigende, eisig schweigende
Stadt, in die schon schwelende, später lichterloh brennende Falle hineintappt, er, der wahnwitzig genug war, diesem unendlichen Horizont entgegen zu marschieren. Wer dächte nicht, wenn er über das Jahr 1812
liest, an das Jahr 1941, als eine weitere und weitaus dümmere Arroganz und Verkennung des europäischen Westens zugunsten des Ostens fällig war: der Einmarsch der deutschen Armee, die zwischen Juni und November
Leningrad und Stalingrad und Moskau erobert und gleichzeitig auch noch innerhalb von viereinhalb Monaten den russischen Winter, ohne halbwegs dazu ausgerüstet zu sein, „besiegt“ haben wollte.
Natürlich wird da in strategischen Erinnerungen herum spekuliert auf dem WENN WENN! Die Antwort
war deutlich: der härteste Winter seit einhundert Jahren kam, und es half kein WENN! Große Schlachtenlenker können später immer auf WENN´S spekulieren, ein Autor darf es nie. Hitlers „Beresina“
dauerte drei Winter, aber am Ende war ein halbverkohlter Leichnam vor einem Bunker in Berlin, und ein verratenes, verlassenes, verkauftes Volk – und fünfundzwanzig Jahre später blickt man vom Springerhochhaus
und vom Hilton Hotel “von oben herab“ wie auf Affen im Zoo und hat noch nicht gemerkt, dass die eigene Äffigkeit sich schon zu zeigen beginnt. Nein, nein, frei möchten die Menschen schon sein, aber was
es bedeutet, durch Deutsche befreit zu werden, das werden sie nicht so bald vergessen. Aber dann, haben sich diese „Affen“ gleich selbst befreit, befreit, um gleich wieder eingefangen zu werden, von Unkel Sam und
seiner West-Allianz.
Da die meisten eine (vielleicht glückliche) Veranlagung haben, Inhalte zu vergessen, sie aber
immer wieder und immer nur in ihrer Verstofflichung näher kommen können, erfüllt bei jeder Lektüre von „Krieg und Frieden“ am Ende des ersten Teils, den man als eine Art Exposition betrachten
kann, die gleiche Bangigkeit: wie wird er diesen großen Aufmarsch durch die Zeiten, über die Runden bringen? Natürlich, es gibt da zwei Handlungsträger, auf die sich ein Autor einigermaßen verlassen
kann, einen weiblichen, den Frieden, einen männlichen, den Krieg, und das ist auch inzwischen so weit geklärt, dass mit Natascha nicht alles glatt gehen wird: das ideale Brautpaar, Natascha Rostow und Andrej Bolkonskij,
sie werden sich nicht kriegen, und das böse, geschickt angelegte Vorhaben des alten Kuragin, die beiden großen Vermögen Bolkonskij und Besuchow durch Verkupplungsversuche, von denen der eine nur vorübergehend
gelingt, einzuheimsen, wird doch am „Ende gut - alles gut“ vereitelt. Sogar für finanziellen Lastenausgleich wird gesorgt, die durch Verschwendung ruinierten Rostows können aufatmen: Natascha heiratet
Pierre und Nikolai heiratet Marja Bolkonskaja. Ist das nicht ein Märchen? Ist Tolstoi nicht eine groß angelegte, großartige Täuschung gelungen, mit diesem alltäglichen, durchschnittlichen Besuchow,
den jeder für so „wirklich“ hält? Ist er nicht unwirklicher als Napoleon und Kutusow, als dieser ganze historisch verbürgte Hinter- und Vordergrund, diese wie bei einem historischen Prachtschinken
vielschichtig aus gespachtelte Grundierung, die Tolstoi braucht, um Pierre Boden unter die Füße zu schaffen?
Vor dem Happyend vergehen noch acht Jahre und vierzehnhundert Romanseiten, es kommen noch weitere
vierzehn Teile, ein Epilog und nicht weniger als insgesamt dreihundertunddreiundfünfzig Kapitel. Der geneigten Leserin und dem geneigten Leser mögen solche Zahlenangaben unwichtig, ja, wie eine frivole Zerstückelung
vorkommen, für den lesenden Genießer sind sie von genauso großer Wichtigkeit wie der gesamte Inhalt und das umfangreiche Personal mit allen seinen Problemen. Schließlich wird an jedem Roman herumgestückelt,
herausgeschnitten, geklebt, geändert - ein Vorgang, den man gemeinhin Komposition nennt; diese Zerstückelung gehört zu dem Vorgang, den man den schöpferischen Prozess zu nennen beliebt. Solche Ziffern und
Zahlenwerte bringen den Rhythmus nahe, den Atem, mit dem ein Autor auf solch einer langen Reise sparsam umgehen muss. Die Durchschnittslänge jedes der fünfzehn Teile beträgt etwa einhundertfünf, die Durchschnittslänge
jedes Kapitels zwischen vier und fünf Seiten. Glücklicherweise erreicht keiner der Teile und erreichen nur wenige Kapitel diesen „Durchschnittswert“. Das Berechenbare erweist sich als unberechenbar; natürlich
ist solch ein Roman nicht rechnerisch erfassbar, und doch hat er seine Endlichkeit, hat er seine Länge und sogar Längen, hat er eine vom Autor höchstpersönlich vorgenommene Einteilung in Bücher, Kapitel,
Abschnitte.
Es ist nicht bekannt, ob es schon computergestützte Messungen von Romanrhythmen gibt, es wäre
vielleicht aufschlussreich, und gäbe es sie, würde man unbedingt „Krieg und Frieden“ und den „Raskolnikow“ miteinander vergleichen, diese beiden Odems gern nebeneinander sehen. Wahrscheinlich
ergäben beide, rhythmisch geröntgt, materialisiert, phantastische Grafiken als Nebenprodukte der Literatur. Auf eine Formel verkürzt, ein weiterer Vergleich zwischen Tolstoi und Dostojewskij: Tolstoi ist auch
in der aller kürzesten seiner Erzählungen langatmig, Dostojewskij kurzatmig bis zur Atemlosigkeit. Im „Raskolnikow“ ist auf eine fürs neunzehnte Jahrhundert sensationelle Weise schon der Zeitraffer
am Werk. Man weiß gar nicht, und es ist auch nicht interessant zu wissen, wie lange die Spieldauer des Romans ist, ob drei oder fünf Tage, ob Wochen oder Monate: er ist in einem Augenblick vorüber. Bei Tolstoi
schreitet man durch Jahrhunderte. Natascha ist bei Beginn dreizehn Jahre alt, am eigentlichen Ende des Romans ist sie einundzwanzig: knappe acht Jahre, die wie eine Ewigkeit erscheinen. Entkleidet man die Wörter langatmig
und kurzatmig der negativen Nebenbedeutung, die sie im Deutschen haben, nimmt sie einfach als „technische Werte“, so kann man vielleicht die unterschiedlichen Rhythmen erkennen. Dostojewskij, jedenfalls der späte,
wirkt auch in seinen umfangreichen Romanen, die immerhin an die tausend Seiten gehen, kurzatmig. Natürlich ist darin auch der Unterschied der Arbeitsweise und -bedingungen erkennbar.
Man stelle sich vor, das Russland des neunzehnten Jahrhunderts sei in diesen beiden so verschiedenen
Autoren gut aufgehoben und gut ausgedrückt. Tolstoi überraschenderweise der jüngere, der uns älter vorkommt, weil er älter geworden ist. Man kann hier nicht die Gestirne Puschkin, Gogol, Tschechow,
Lermontow und Gontscharow noch in diese Überlegungen einbeziehen und nicht die zahlreichen Satelliten der russischen Literatur des neunzehnten Jahrhunderts, was notwendig wäre, um dem Eigenschaftswort „russisch“
auch nur annähernd Hintergrund zu geben. Ist Pierre so russisch wie Nataschas Deutsche deutsch; dieser Mensch, der ziemlich genau in der Mitte des Romans von sich selbst denkt: „Und er war nichts als der reiche
Mann einer untreuen Frau, ein Kammerherr außer Dienst, der an gutem Essen und Trinken seine Freude hatte und wohl auch ein wenig auf die Regierung schalt, wenn er nach einem reichlichen Diner mit aufgeknöpftem Rock
dasaß, Mitglied des Moskauer Englischen Klubs und allgemein beliebtes Mitglied der Moskauer Gesellschaft. Eine längere Zeit hindurch konnte er sich auch noch nicht recht mit dem Gedanken abfinden, dass er selbst
nun ein richtiger Moskauer Kammerherr außer Dienst sein sollte - ein Typus, den er vor sieben Jahren so grimmig verachtet hatte“. Ist er russisch oder der frivole Dolochow, mit dem er sich duelliert? Ist es Bolkonskji
oder der letzten Endes doch ein wenig schnöde und nicht überaus intelligente Nikolai Rostow, der Sonja sitzenläßt? Und was ist mit Anatol Kuragin oder dem Streber und erfolgreichen Karrieristen Boris Drubezkoj?
Wer ist der „russischere“ oder gar der „russischste“ von allen? Vielleicht muss man tun, was man nicht tun darf: eine Nationalbezeichnung steigern und in den Superlativ setzen, um herauszufinden, wie
fragwürdig sie sind. Was ist das für eine Eigenschaft, die man nicht steigern darf und kann? Und wo bleiben die Gestalten Dostojewskijs, Gogols, Puschkins - ist Myschkin russischer als der liebenswürdige kleine
Petja Rostow, der in den letzten Augenblicken des Krieges noch sterben muss und den man sich so gut als friedliches phantasievolles Großväterchen an einem Kamin vorstellen kann? Möglicherweise sollte man die
Methode, den Autor aus seinem Gesamtwerk herauszufinden, auch auf Nationen anwenden: das gesamte Personal ihrer Literaturen, ihrer Politik, ihrer Wirtschaft und Landwirtschaft etc. addieren, aus dieser gewaltigen Summe die
siebte Wurzel ziehen - und wäre dann berechtigt, ein Eigenschaftswort wie russisch oder deutsch in Gebrauch zu nehmen. Natürlich reklamieren die Nationen ihre „Gestalten“, und kein Russe wird auch nur
auf einen von ihnen verzichten wollen: nicht auf Rasumichin, der so russisch ist wie jeder andere und kein anderer, und nicht auf Levin oder Vronskij, Kuragin und Bolkonskij. Nicht ohne Neid: es ist ein reich bevölkerter
Kosmos von Frauen und Männern in der russischen Literatur, bei den deutschen Helden geht’s ein wenig sparsamer zu – aber was ist denn auch nur annähernd typisch russisch, so, dass einer ohne Zögern
das Eigenschaftswort anwenden könnte? Betrachte man sich genau, was allein in „Krieg und Frieden“ als typisch deutsch angeboten wird, so bleibt außer dem Volltreffer von Natascha noch genügend Munition.
Da wird ein Sprichwort zitiert: „Der Deutsche drischt auch auf dem Beilrücken noch Korn“, und es wimmelt da von deutschen Beratern im Generalstab: Nehme man zum Beispiel den Herrn Pfuel!
„Pfuel war einer jener hoffnungslos, unerschütterlich, fanatisch selbstbewussten Menschen,
wie man sie eben nur unter Deutschen findet, und zwar weil nur bei den Deutschen das Selbstbewusstsein auf einer abstrakten Idee basiert, nämlich der Idee der Wissenschaft, das heißt, des vermeintlichen Besitzes
der vollkommenen Wahrheit. Das Selbstbewusstsein des Franzosen beruht auf dem Glauben der unwiderstehlich bezaubernden Wirkung seiner geistigen wie körperlichen Erscheinung auf Männer und Frauen. Das Selbstbewusstsein
des Engländers fußt auf der Überzeugung, Bürger des am besten eingerichteten Staates der Welt zu sein und daher, eben als Engländer, immer zu wissen, was er zu tun hat und desgleichen immer zu wissen,
dass dasjenige, was er, eben als Engländer, tut, ohne Zweifel gut und richtig ist. Das Selbstbewusstsein des Italieners gründet sich darauf, dass er von Haus aus aufgeregt ist und leicht sich selbst und andere vergisst.
Das Selbstbewusstsein des Russen hat seine Wurzeln darin, dass er nichts weiß und nichts wissen will, weil er nicht glaubt, dass man überhaupt etwas wissen könne. Das Selbstbewusstsein des Deutschen aber ist
ärger, hartnäckiger und unangenehmer als das aller anderen Völker, eben weil er sich einbildet, er kenne die Wahrheit, das heißt die Wissenschaft, die er sich selbst ausgedacht hat, aber für die absolute
Wahrheit hält.“
„Pfuel wirkt noch typischer als alle diese Deutschen! Einen solchen deutschen Theoretiker, der
alles, was diese anderen an sich gehabt hatten, in so prägnanter Weise in sich vereinigte, hatte Fürst Andrej noch nie gesehen.“ Mögen die Engländer, Franzosen und Italiener sich mit ihrer Nationalität-Definition
konfrontieren, er steht hier für einen, der einigen Grund hat, sich als Deutscher zu bezeichnen. Erröten sie, schämen die Deutschen sich, oder ärgern sie sich nur, wenn sie das lesen? Kommt es allen Deutschen
nicht doch irgendwie - leider eben nur irgendwie - zutreffend vor? Sind nicht die Ideologen und Demagogen der untergegangenen DDR irgendwie die Pleuels des ebenfalls zerbrochenen Ostblocks gewesen, die, die es immer genau,
die es besser wussten, die im Besitz der „vermeintlichen Kenntnis“, der „reinen Wahrheit“ waren und „pfueln“ nicht die harten Pragmatiker der Bundesrepublik tüchtig im westlichen Lager
herum? Waren nicht die großen Strategen des Eroberungskriegs gegen die Sowjetunion alle mehr oder weniger Pfuels, die gewonnen hätten, wenn - ja, wenn nicht der härteste, strengste Winter seit hundert Jahren
gekommen wäre. Aber dieser Winter kam, und er kam auch für die Rote Armee. Es wird niemanden geben, dieses Problem der Nationalitätbezeichnung, der Urteile und Vorurteile auch nur andeutungsweise lösen
zu können. Man frage sich nur, ob es nicht besser wäre, Nationalitätbezeichnungen für eine Weile aus dem Verkehr zu ziehen, bis die noch zu erfindenden Computer, die wahrscheinlich zweihundert Kilometer
breit sein müssten, mit den entsprechenden Daten gefüttert werden können und dann ein Ergebnis liefern, auf dem die Formel steht für das, was man russisch oder deutsch nennen könnte? Noch hat keine
Nation, kein Volk, keine nationale Literatur angefangen, die Adjektive zu überprüfen, mit denen man sich selbst und andere bezeichnet. Man kann sich die Ausdrücklichkeit irgendeiner Nation nicht aussuchen, nicht
auf ein paar Autoren oder gar ein paar ihrer Gestalten reduzieren. Literatur im Export ist voller Gefahr der Zufälligkeiten. Heinrich Heine würde wichtiger und deutlicher, wenn man ihn überall in seiner Differenz
zu Stifter sehen könnte. In gewissen Teilen der Welt gilt Wagner als deutsche Musik, und was nicht so wagnerisch ist, gilt dann nicht mehr als deutsch. Wann hört ein Deutscher auf, für die Ausländer deutsch
zu sein? Wer ist russischer, Tolstoi oder Dostojewskij? Welche beiden Autoren könnten weiter voneinander entfernt sein; ist Poe amerikanischer als Jack London, oder Stifter deutscher als Heine? Und Hölderlin - wer
wird die Entfernung zwischen ihm und Heine messen? Ist Stifter nicht gerade in seiner Eigenschaft als der „sanfte Unmensch“, als der ihn Arno Schmidt bezeichnet hat von einer bedrückenden Modernität,
seine Beschränkung auf Sachen, auf Steine, Möbel, während die Menschen auf eine gespenstische Weise „verpuppt“ bleiben, nicht schon fast ein ins neunzehnte Jahrhundert vorverlegter Interpretationsvorgang
des „Neuen Romans“, und ist Heines Frivolität und Bosheit nicht viel mehr rheinisch als jüdisch? Wann wird eigentlich dieser Wortkontinent „jüdisch“ erforscht?
Auf weitere Formeln verkürzt: Tolstoi ist der Autor des Landes und der Landwirtschaft, Dostojewskij
der Autor der Großstadt. Es gibt kaum eine gelungene Verstofflichung von Land und Landschaft, ihren Menschen, den Tieren als die in „Krieg und Frieden“ eingebaute Wolfsjagd: das ist wohl wirklich Russland,
denkt man, und es ist da das andere Russland: Dostojewskijs Kleinbürger und Intellektuelle in den Großstädten. Die irdische Religiosität Tolstois, die metaphysische Dostojewskijs. Man weigere sich und
soll sich weiterhin weigern, zwischen den beiden zu wählen. Man nehme sie zusammen und Puschkin, Gogol, Lermontov und viele andere noch dazu und habe dann, bevor der Riesencomputer installiert ist, etwas in der Hand,
das man annähernd russisch nennen könnte.
Tolstoi und Dostojewskij haben auch eine verschiedene Bedeutung und Gegenwärtigkeit selbst zu
Zeiten der Sowjetunion gehabt. Puschkin, Gogol und Tolstoi waren wohl die am wenigsten ideologisch umstrittenen, und wen wird es wundern, dass Tolstoi ideologisch der beliebtere war und bleiben wird. Ein Autor, den man - könnte
man das Wort noch gebrauchen - als den größten Realisten der russischen Literatur bezeichnen kann, der als junger Mensch, nachdem er Augenzeuge vom Sterben seines Bruders Nikolai gewesen war, während der Beerdigung
seines Bruders auf den Gedanken kam, ein materialistisches Evangelium, das „Leben Christi als eines Materialisten“ zu schreiben; ein Autor, von dem kein Geringerer als Lenin gesagt hat: „Bevor dieser Graf
zu schreiben begann, gab es in der russischen Literatur keine echten Bauern.“.
Fünfzig Jahre nach der Revolution, im Jahr des hundertsten Geburtstags Lenins, gab es Anzeichen
dafür, dass - nicht etwa Tolstois, Puschkins oder Gogols Zeit vorüber ist - und doch Dostojewskijs Zeit kommt. Die ungeheure Dankbarkeit und der Respekt, den man der Literatur in der Sowjetunion gezollt hat, hatte
nicht zur Folge, dass der eine den anderen ablöst - es sah nur so aus, als wurde die längst fällige Ergänzung durch Dostojewskij vollzogen. Das ist nicht immer abhängig von der genehmigten Auflagenhöhe.
Manche Manuskripte von Solshenizyn sollen, nicht gedruckt, sondern privat vervielfältigt, in zwanzig- bis dreißigtausend Exemplaren kursiert haben. Das bedeutet einige Hunderttausend Leser. Ein solcher Autor ist,
auch wenn er nicht gedruckt wird, präsent, und gewiss ist auch Dostojewskij in der Sowjetunion präsent gewesen. Der Zusammenhang der Dostojewskij-Renaissance mit einer religiösen ist unverkennbar. Ob Ost und
West, über die Mauern hinweg, ihre Positionen wechselten? Gewiss nicht in ihrer Administration. Die hat im Westen weiterhin das Banner des Christentums flattern lassen, jedenfalls auch weiterhin nicht einziehen und der
Osten hatte offiziell die Flagge des Atheismus gehisst gehalten. Die beiden Fahnen täuschten aber nur die oberflächlichen Beobachter. Und den sozialen Materialismus, der im Westen aufkommt, hat man als Mode abgetan
(für diese sozialen Materialisten müsste Tolstoi so etwas wie eine Bibel sein - er, der gesagt hat: „Die Wurzel allen Übels ist das Eigentum“) - wie man die religiöse Renaissance in der Sowjetunion
als Mode abgetan hat. An der Verfrontung hat sich überhaupt nichts geändert: die westlichen Fortschrittler hatten die neue Entwicklung in der Sowjetunion als reaktionär abgetan und im Osten hatte man die westlichen
Vorstellungen als soziale Illusionen betrachtet.
Bei der Analyse der zurückliegenden Vorgänge wird ein Werk wie „Die Dämonen“
wichtig sein: die Ermordung Schatovs, die in dem Augenblick erfolgt, wo er ein „neues Leben“ beginnen will, dieses sinnlose intellektuelle Planspiel, als Gehorsamsvehikel, das gleichzeitig magische Bindung durch
Blutschuld vollzieht - sie wird sich immer wieder wiederholen. Tolstoi ist der weitaus irdische, materielle, stoffliche. Dostojewskij ist der spirituelle, der „ungemütlichere“ auch, bis in die stofflichen
Details, etwa das Verhältnis seiner Hauptgestalten zum Essen; modern ausgedrückt, sind sie alle Imbissstuben-, Würstchenbuden-, Snackbar-Esser, während man bei Tolstoi gern und ausgiebig zu Tisch sitzt.
Im Russland des neunzehnten Jahrhunderts fielen die großen Worte Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit
auf einen Grund, der vom westeuropäischen völlig verschieden war. Das Verhältnis Russlands zum Humanismus - alle Fragilität, Mißbräuchlichkeit, alle Facetten und Verfälschungen, die der
Begriff inzwischen erfahren hat, vorausgesetzt - ist ein vom Westen Europas verschiedenes. Die Geschichte hat diese Worte und Begriffe Russland anders zugetragen, und bis auf den heutigen Tag trägt sich dort alles anders
zu. Auch der Begriff der Solidarität hat bis auf den heutigen Tag eine andere Geschichte und andere Selbstverständlichkeiten der Verwirklichung. Man trug und trägt dort seine politische Haft wie hierzulande
seine Orden, die Ehrfurcht vor dem Gefangenen hat erst nachgelassen und wird weiter nachlassen mit dem Aufkommen einer neuen Klasse Mensch: dem sowjetischen Spießer, der haben wollte, wonach auch die westlichen Spießer
verlangten: „Ruhe, Sicherheit, Ordnung“. Die politischen Häftlinge in Tolstois Auferstehung erkennen sehr wohl in der unglücklichen Maslova das Opfer gesellschaftlicher, also politischer Verhältnisse,
und sie sind es letzten Endes, die sie an sich nehmen und befreien, auch sie als politischen Häftling akzeptieren.
Der Respekt vor Schriftstellern und Intellektuellen ist immer groß gewesen, weil sie es waren,
die traditionsgemäß Veränderungen der Herrschaftsverhältnisse betrieben. Der „Selbstverlag“, das privat vervielfältigte und verbreitete Manuskript, das sich der
Zensur entzog und doch populär wurde (wie auch u. a. Solschenizyns Manuskripte) hat Tradition, und aus dieser Tradition ergibt sich ein anderes Verhältnis zur Popularität, die westlichen Intellektuellen immer
noch suspekt erscheint. Sie werden es nie ganz begreifen, noch weniger exakt analysieren können, schon deshalb nicht, weil sie die Differenzen, die vielen Nuancen zwischen Russland, den übrigen ehemaligen Sowjetrepubliken
und den anderen ehemals sozialistischen Staaten nie ganz wahrnehmen können.
Annähernd, nimmt man die russische Literatur des neunzehnten Jahrhundert als Ganzes wahr, so
etwas wie eine Vorstellung von russisch, und eben in „Krieg und Frieden“ auch nur annähernd, Tolstoi. Es gibt ja noch die ungeheuren Entfernungen, die sich im Gesamtwerk eines Autors verbergen, wie die Spannungen
innerhalb des Begriffs „Slawisch“. Ist der Dostojewskij des „Der Spieler“ ein anderer als der der „Brüder Karamasow“? Wo bleibt da jene, mindestens gleichbleibende, möglichst permanent
gesteigerte Qualität, die die „Pfuels“ der Literaturkritik von einem Autor fordern? Als Romane sind „Anna Karenina“ und „Auferstehung“ besser als „Krieg und Frieden“, mit
seinen vielen Zeigefingern, hinter denen das umfangreiche Personal zeitweise verschwindet.
Und gewiss haben schon viele kluge Leute die Schwäche des Epilogs festgestellt. Sie haben recht,
er ist enttäuschend: Natascha, knapp dreißig, schon zur Matrone geworden, ein recht durchschnittliches, nicht übermäßig, aber angemessen eifersüchtiges Hausmütterchen, und Piere kann man
sich gut vorstellen, wie er da mit Nikolai und dem unverwüstlich-sympathischen Denissow, der´s letzten Endes doch zum General gebracht hat, am Feuer sitzt; im Dämmer, mit einer undefinierbaren Kappe auf dem
Kopf, könnte er beides zugleich sein: Großväterchen und Großmütterchen. Der ein wenig beschränkte Nikolai an der Seite einer so ungeheuer guten Seele wie Marja Bolkonskaja, die eine hervorragende
Äbtissin abgegeben hätte. Und eines Tages wird da der peinliche Berg, auch längst General, hereinspazieren, und, wie man ihn kennt, wird er den Verlust jener „entzückenden Kommode“, die im brennenden
Moskau zurückblieb, beklagen und wird diesen Verlust gleichzeitig ein wenig als Heldentat genießen.
Nach so viel Aufwand, Erregung, Leiden und Leidenschaft endet alles so schrecklich normal. Hat da
einer letzten Endes doch mit sehr viel Kanonen nur ein paar Spatzen erlegt? Wird man sich nach dem reichlichen Essen nur die Weste aufknöpfen und ein bisschen auf die Regierung schimpfen? Wird nicht am Ende sogar die
weibliche Leserin die Lust verlieren, sich noch mit dieser Natascha zu „identifizieren“? So wie der männliche Leser kaum noch Neid auf Pierre empfindet? Natürlich bleibt da allerletzten Endes der kleine
Nikolenka Bolkonskij, der von seinem Vater träumt und von Pierre schwärmt und der Großes vollbringen möchte, neue Hoffnung, neuer Anfang. Es kommt einen dieser Epilog wie ein bewusst gezielter Schlag vor,
ein nasses Handtuch. Wäre Tolstoi überhaupt in der Lage gewesen, Kitsch zu produzieren, so hätte er es wahrscheinlich bewusst kitschig gemacht wie den vorgesehenen Titel: „Ende gut – alles gut“!
Doch nicht einmal der Epilog ist kitschig, er ist ganz bewusst anti-idealistisch und mag dem Wunsch des Autors entsprechen, wenigstens in seinem Werk etwas zu verstofflichen, was er nie fand: Alltäglichkeit. Für
einen so wenig alltäglichen Menschen wie Tolstoi muss diese Alltäglichkeit ein Traum gewesen sein, wie es für alltägliche Menschen ein Traum sein mag, „das Leben eines Künstlers“ zu führen,
und diese normale Ehealltäglichkeit am Ende des Romans ist ja auf eine sehr bittere Weise in den davor liegenden Teilen des Romans in Frage gestellt. „Eine böse Sache, was?“
„Was soll böse sein, Väterchen?“
„Die Frau“ sagte der alte Fürst kurz und mit Nachdruck.
„Ich verstehe Sie nicht“, erwiderte Fürst Andrej.
„Da ist nichts zu machen, Freundchen“, sagte der alte Fürst. „Alle sind sie
sich gleich, und scheiden lassen kann man sich nicht. Keine Angst, ich sage es niemand. Und du weißt es ja selbst“.
Diese Anspielung auf Andrejs Verhältnis zu seiner Frau Lisa ist sarkastisch und treffend. Und
hat man, wenn man dieses Happyend liest, vergessen, dass Natascha tatsächlich bereit war, sich als Verlobte Andrejs von einem Schurken wie Anatol Kuragin entführen zu lassen? Es bleibt genug, diesem glücklichen
Ende nicht ganz zu trauen. Vielleicht soll an diesem glücklichen Ende auch angedeutet werden, dass die Geschichte, große und kleine Kriege, für die, die daran teilnahmen und überlebten, zu einem kümmerlichen
Gesprächsstoff zusammenschrumpft. Wenn die Kriege lange genug dauern, werden aus Hauptleuten eben Obristen und Generäle, und selbst der streitbare Denissow, der für seine hungernden Soldaten Lebensmittel raubte,
im Lazarett fast verelendete, überraschenderweise zeitweise zum Querulanten wird - auch er endet in Gemütlichkeit. Dieses Ende ist gar nicht so happy, mag's auch so gemeint gewesen sein. Wenige Jahre bevor er
an die Niederschrift von „Krieg und Frieden“ ging, hat Tolstoi in einem Brief geschrieben: „Um anständig zu leben, soll man sich selbst anstrengen, verstrickt werden, ringen und kämpfen, Fehler machen, anfangen und aufgeben, wieder beginnen und aufgeben und ständig kämpfen und sich
selbst berauben. Friede und Ruhe ist nichts weiter als Niedrigkeit der Seele“. Vielleicht ist dieses Zitat, das sich um viele gleichbedeutende erweitern ließe, der einzig mögliche
Kommentar zum glücklichen Ende von „Krieg und Frieden“.
Es gäbe viel über die Person Tolstoi zu sagen, über sein Verhältnis zu „Größe“,
das er an Napoleon expliziert, über seine Haltung zum „Krieg“, den er wie eine blutige und absurde Lächerlichkeit sieht, wiederum verkörpert für ihn in der Lächerlichkeit Napoleons, dessen
Aktivität in der Passivität des brennenden Moskau gelähmt wird; über Tolstoi und den Westen, den Katholizismus (Helene Kuragins allerletzte Verworfenheit besteht schließlich darin, dass sie auch noch
katholisch wird). Biographisches wäre anzumerken, Tolstois ständige Erduldung des Gegensatzes zwischen Leben, Werk und Lehre, in diesem Dreieck riss es ihn dauernd hin und her, und wenn „Frieden und Ruhe nichts
weiter als Niedrigkeit der Seele“ sind, dann war seine Seele alles andere als niedrig. Er war kein Olympier, obwohl man ihn gern auf einige Throne gesetzt hätte, und er starb schließlich wie eine Dostojewskij-Gestalt:
ganz und gar unweise, von den Widersprüchlichkeiten seines Lebens zerrissen, und es blieb ihm, auch nach dem Tode, nichts erspart; die Tür seines Eheschlafzimmers wurde weit geöffnet, sein Betttuch gelüpft;
mehr Missverständnisse und unglückselige Verkennung, auch Misstrauen, als zwischen ihm und seiner Frau, ihm und dem größeren Teil seiner Familie, ihm und seinen Jüngern, seinen Anhängern, den
Tolstoianern, kann es kaum geben. Nichts, nichts blieb ihm erspart. Keine Spur, nicht der Schimmer einer Andeutung von einem glücklichen Ende.
Wurde die Neugier gestillt, der Verfasser gefunden, sein Versteck aufgestöbert? Wo und worin
steckt er? In Bolkonskij, in Pierre, in Anatol Kuragin etwa, in den beiden Nechljudovs (zweimal im „Marquer“ und in „Auferstehung“, gibt er seinen Helden diesen Namen), steckt er in Levin, der mit seiner
Kitty ähnlich glücklich endet wie Pierre mit Natascha? Hat er sich in Kutusows Rockaufschlag versteckt oder in Bagrations Tabaksbeutel? In Speranski, dem zaristischen Chefideologen? Bei Nataschas Onkel, wo die selige
Wolfsjagd selig endet? Wo ist dieser Autor, dieser Mensch, von dem bekannt ist, dass er im Bett eines Bahnwärters starb, vom Ruhm verfolgt und von der Reflexion des Ruhms auf seine Familie getötet. Darf man vorschlagen,
dass alle ihn in Frieden lassen? Ihm gestatten, gewesen zu sein, nicht nur in Werk, Leben und Lehre, was schon ausreichen würde, gespalten auch noch in Bolkonskij, Besuchow, Levin und Oblonski, mit „Zügen“,
möglicherweise sogar von Vronskij, einem „Anflug“ von Speranskij, zwei Nechljudovs und etwa dreihundert anderen.
Und müsste man ihm nicht gerechterweise auch die Chance geben, sich in einigen Frauen versteckt
zu haben und versteckt zu halten. Genügt es nicht zu wissen, dass ihm nichts erspart blieb, nicht einmal - was er als Ehre empfunden haben wird - die öffentliche Exkommunikation durch die russisch-orthodoxe Kirche?
Die Neugier ist jedenfalls gestillt, und bevor man sich hoffnungslos „verpfuelt“, gibt es jetzt das letzte Wort; was Tolstoi über Menschen gesagt hat, könnte auf Nationen angewendet, vielleicht weiterhelfen:
„Es ist ein sehr gewöhnlicher und sehr weit verbreiteter Aberglaube, dass jedes menschliche Wesen gewisse endgültige Eigenschaften habe, dass wir entweder gut oder schlecht seien,
klug oder dumm, energisch oder passiv usw. Aber die Menschen sind nicht so. Wir können sagen, dass ein bestimmter Mensch öfter gut als schlecht ist, öfter klug als dumm, öfter energisch als passiv und umgekehrt,
aber es wäre unrichtig, von irgendeinem einzelnen Menschen zu sagen, er sei einfach gut oder klug, schlecht oder dumm. Aber so klassifizieren wir dauernd die Menschen - und das ist falsch. Menschliche Wesen sind wie Flüsse
- das Wasser, das in ihnen allen fließt, ist in jedem Fall das gleiche, aber jeder Fluss ist an einer Stelle schmal, an einer anderen breit, manchmal ruhig oder klar oder kalt, manchmal trüb und ein andermal wieder
warm. Und Menschen sind genauso. Jeder Mensch hat die Keime aller menschlichen Eigenschaften in sich, alle kommen zu verschiedenen Zeiten zum Vorschein, und oftmals wird er sich charakterlos benehmen, trotzdem ist er immer
noch die gleiche Person. Bei manchen Menschen sind solche Umschläge sehr plötzlich.“ (wie in „Auferstehung“.) Vielleicht ist das ein Annäherungsversuch an sich selbst;
vielleicht nicht einmal der beste, und - wie manche Leserin und mancher Leser denken wird - zu „einfach“. Gewiss war Tolstoi selbst viel, viel komplizierter als dieser sein Annäherungsversuch an eine Definition
des Menschlichen. Er war sich selbst unerklärlich!
Das ist eine kleine Ergänzung von Klaus Haberland zum Nachwort von Heinrich Böll zur Ausgabe von „Krieg und Frieden“ 1975