Gedanken zum derzeitigen Lieblingsthema in der Politik: „… schmeißt die
faulen Griechen endlich aus dem €uro…!“. – Griechenland, Wiege der Demokratie!
Ich habe einfach mal versucht, die konkrete Situation zwischen
Deutschland und Griechenland und in Deutschland und in Griechenland etwas
exemplarisch zu fassen. Die einzelnen Analyse-Diskussionen kann ja dann Jeder
eigenständig und differenziert führen.
Ganz Allgemein gesagt, alle älteren Anschauungen über
das gesellschaftliche Leben der Menschen sind vom Gedanken der Bestimmung des
Menschen und des Menschengeschlechtes beherrscht. Die Gesellschaft reift einem
Ziel entgegen, das ihr von der Gottheit gesetzt ist. Wer so denkt, ist logisch
im Recht, wenn er von Fortschritt und Rückschritt, von Revolution und Gegenrevolution,
von Aktion und Reaktion mit der Betonung spricht, die diese Begriffe bei vielen
modernen Historikern und Politikern haben. Die Geschichte wird gewertet, je
nach dem sie die Menschheit das Ziel näherbringt oder sie davon entfernt, so
weit, so klar!
Aber, die Sozialwissenschaft fängt dort an, wo man sich bei
der Betrachtung der menschlichen Dinge von dieser und überhaupt von aller
Wertung befreit. Auch die Sozialwissenschaft ist in dem Sinne teleologisch (Handlungen überhaupt oder Entwicklungsprozesse), in dem es jede kausale Betrachtung des Willens sein
muss. Doch ihr Zweckbegriff ist ganz in die Kausalerklärung einbezogen. Die
Kausalität bleibt für sie das Grundprinzip der Erkenntnis, dessen Hochhaltung
auch durch die Teleologie kein Abbruch geschehen darf. Sie
wertet die Zwecke nicht; sie vermag daher auch nicht, von Höherentwicklung und
von Vervollkommnung in dem Sinne zu reden, in dem dies etwa Hegel und Marx tun.
Für sie ist es durchaus nicht ausgemacht, dass alle Entwicklung in die Höhe
führt, dass jede spätere Stufe eine höhere ist. Ebenso wenig vermag sie
freilich auch im geschichtlichen Prozess nach Art der pessimistischen
Geschichtsphilosophien einen Abstieg, eine fortschreitende Annäherung an ein
böses Ende, zu erblicken. Die Frage nach den treibenden Kräften der
geschichtlichen Entwicklung ist die Frage nach dem Wesen der Gesellschaft und
nach dem Ursprung und den Ursachen der Veränderungen der
Gesellschaftsverhältnisse. Was ist Gesellschaft, wie wird Gesellschaft und wie verändert
sich Gesellschaft, das können allein die Probleme sein, die sich die
Wissenschaft der Soziologie hier stellt. Also, an unserem exemplarischen
Beispiel gibt es kein oben und demzufolge auch kein unten, weder Griechenland
noch Deutschland sollten und dürfen mit diesen Begriffen tituliert, geschweige
dann auch noch bewertet werden.
Dass das gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen
dem biologischen Prozess gleiche, ist eine alte Beobachtung. Es brachte der
Wissenschaft von der Gesellschaft wenig Gewinn, dass man diese Analogie im 19.
Jahrhundert unter dem frischen Eindruck der großen Erfolge der Biologie in
umfangreichen Werken bis zur Lächerlichkeit ausführte. Was für einen Wert
sollte es für unsere heutige Erkenntnis haben, wenn man z. B. darüber streitet,
welches Organ des sozialen Körpers dem Zentralnervensystem entspreche? Das
zutreffendste Urteil über diese Art, Soziologie zu treiben, hat jener
Nationalökonom gefällt, der meinte, wer das Geld mit dem Blute und den
Kreislauf des Geldes mit dem Kreislauf des Blutes vergleicht, habe für die
Nationalökonomie dasselbe geleistet, was einer, der das Blut mit dem Geld und
den Kreislauf des Blutes mit dem des Geldes vergleichen wollte, für die
Biologie leisten würde. Die moderne Biologie hat der Sozialwissenschaft einige
ihrer wichtigsten Begriffe, so den der Entwicklung, den der Arbeitsteilung und
den des Kampfes ums Dasein entlehnt. Aber sie ist nicht bei metaphorischen
Redensarten und Analogieschlüssen stehen geblieben, ist vielmehr zu fruchtbarer
Verwertung des übernommenen Gutes vorgeschritten, während die biologische
Soziologie mit den nachher rückentlehnten Begriffen ein nutzloses Spiel mit
Worten trieb. Noch weniger hat für die Erkenntnis der gesellschaftlichen
Zusammenhänge die romantische Richtung mit ihrer „organischen“ Staatsauffassung
geleistet. Indem sie mit Absicht darauf ausging, das wichtigste Ergebnis, das
die Sozialwissenschaft bis dahin zutage gefördert hatte, das System der
klassischen Nationalökonomie, achtlos beiseite zu schieben, verstand sie es
nicht, jenen Teil dieses Systems, der den Ausgangspunkt aller Soziologie bilden
muss wie er den Ausgangspunkt der modernen Biologie bildet, die Lehre von der
Arbeitsteilung, für die Fortentwicklung der Wissenschaft nutzbar zu machen.
Das eine hätte der Vergleich mit dem biologischen
Organismus die Soziologie lehren müssen, dass der Organismus nur als System von
Organen denkbar ist. Das aber besagt nichts anderes, als dass die
Arbeitsteilung das Wesen des Organismus ausmacht. Die Arbeitsteilung erst
bewirkt, dass aus Teilen Glieder werden, in deren Zusammenwirken wir die
Einheit des Systems, den Organismus, erkennen. Dies gilt sowohl vom Leben der
Pflanzen und Tiere als auch von der Gesellschaft. Soweit das Prinzip der
Arbeitsteilung reicht, kann man den sozialen Körper mit dem biologischen
vergleichen. Die Arbeitsteilung ist somit das tertium comparationis (Gemeinsamkeit zweier verschiedener,
miteinander zu vergleichender Gegenstände oder Sachverhalte) des alten Gleichnisses.
Noch einmal, zum mitschreiben: die Arbeitsteilung
also, ist ein entscheidendes Grundprinzip alles Lebens. Es ist
zuerst für das Gebiet des gesellschaftlichen Lebens als Arbeitsteilung in der
menschlichen Wirtschaft von den Nationalökonomen aufgezeigt worden und wurde
später von der Biologie übernommen. Doch dass wir in der Arbeitsteilung ein
allgemeines Gesetz zu erblicken vermögen, darf uns nicht hindern, die großen
grundsätzlichen Verschiedenheiten zu erfassen, die zwischen der Arbeitsteilung
in dem tierischen und pflanzlichen Organismus einerseits und der im
Zusammenleben der Menschen andererseits bestehen. Wie auch immer wir uns das
Werden, Fortschreiten und den Sinn der physiologischen Arbeitsteilung denken
wollen, es ist klar, dass wir damit noch nichts für die Erkenntnis des Wesens
der soziologischen Arbeitsteilung gewonnen haben. Der Prozess, der die
weitestgehend homogenen Zellen differenziert und integriert, ist von dem, der
aus autarken Individuen die menschliche Gesellschaft hat erwachsen lassen,
durchaus verschieden. Bei diesem wirken Vernunft und Willen der sich in einer
höheren Einheit zu Gliedern eines Ganzen zusammenschließenden Einheiten mit,
Kräfte, deren Eingreifen wir uns bei jenem nicht zu denken vermögen. Auch dort,
wo Tiere sich wie die Ameisen oder Bienen zu „Tierstaaten“ zusammenschließen,
vollziehen und vollzogen sich alle Bewegungen und Veränderungen Instinkt- und
triebartig. Instinkt und Trieb mögen wohl auch am Ausgangspunkt und in der
frühesten Geschichte der gesellschaftlichen Bildung stehen. Als denkendes und
wollendes Wesen tritt der Mensch schon als Glied einer gesellschaftlichen
Bindung auf, weil der denkende Mensch als verlorenes Einzelwesen gar nicht vorstellbar ist. „Der Mensch
wird nur unter Menschen ein Mensch.“ (Fichte.) Die Entwicklung der menschlichen
Vernunft und die der menschlichen Gesellschaft sind ein und derselbe Prozess.
Alle Weiterbildung der gesellschaftlichen Beziehung ist durchaus
Willenstatsache. Gesellschaft wird somit gedacht und gewollt. Sie ist nicht
außer im Denken und Wollen. Ihr Sein liegt im Menschen drin, nicht in der
Außenwelt; es wird von innen nach außen projiziert.
Gesellschaft ist Miteinander handeln, ist Gemeinschaft
im Handeln.
Die Gesellschaft ist ein Organismus, bedeutet:
Gesellschaft ist Arbeitsteilung. Man hat an alle menschliche Zielsetzung und
an die Wege, auf denen diese Ziele zu erreichen sind, zu denken, wenn man
diesem Begriff voll gerecht werden will. Dann fällt jedes Sich aufeinander
beziehen denkender und wollender Menschen darunter. Der moderne Mensch ist
nicht nur in dem Sinne Gesellschaftsmensch, dass er in Bezug auf die
Güterversorgung nicht als isoliertes Wesen gedacht werden kann, sondern auch in
dem, dass die Entwicklung, die seine Vernunft und sein Empfindungsvermögen
vollzogen haben, nur in der Gesellschaft möglich war. Der Mensch ist als
isoliertes Wesen nicht zu denken, weil Menschtum nur als
Gesellschaftserscheinung besteht und weil sich die Menschheit über die Tierheit
nur in dem Maße hinaushob, in dem sich die gesellschaftliche Bindung der
Einzelwesen durch Kooperation ausgestaltet hat. Der Weg vom Menschentier zum
Menschen ist nur durch den gesellschaftlichen Zusammenschluss und in ihm
zurückgelegt worden. Der Mensch erhebt sich so weit über das Tier, als er
vergesellschaftet ist.
Wir sind aber noch weit entfernt davon, das letzte und
tiefste Geheimnis des Lebens, das Prinzip der Entstehung von Organismen, zu
begreifen. Wer weiß, ob wir überhaupt jemals dazu gelangen werden? Was wir
heute allein einzusehen vermögen ist, dass die Bildung von Organismen aus
Individuen ein Neues hervorbringt, das früher nicht gewesen ist. Die
pflanzlichen und tierischen Organismen sind nicht Summen von Einzelzellen, sie
sind mehr als das, und nicht anders ist das Verhältnis der Gesellschaft zu den
Individuen. Noch haben wir die ganze Bedeutung dieser Tatsache nicht begriffen.
Unser Denken ist in der mechanischen Vorstellung der Erhaltung der Kraft und
der Materie befangen, die uns nie zu erklären vermag, wie aus eins zwei werden
kann. Wieder wird die Erkenntnis der sozialen Gestaltung der biologischen
vorausgehen müssen, wenn wir unsere Einsicht vom Wesen des Lebens werden
erweitern wollen.
Geschichtlich stehen am Ausgangspunkt der
gesellschaftlichen Arbeitsteilung zwei natürliche Tatsachen: Die individuelle
Ungleichheit der menschlichen Anlagen und die Verschiedenheit der äußeren
Lebensbedingungen auf der Erdoberfläche. Diese beiden Tatsachen sind in
Wahrheit eins: die Mannigfaltigkeit der Natur, die sich nicht wiederholt und
das Weltall mit seinem unendlichen, sich nie erschöpfenden Reichtum an
Spielarten hervorbringt. (Und diese natürliche Tatsache selbst, die wir in der
soziologischen Betrachtung als Gegebenheit hinzunehmen haben, ist das Ergebnis
eines in der Natur vorgegangenen Prozesses der Differenzierung und
Integrierung, der der Erklärung durch dasselbe Prinzip harrt, das zur Erklärung
der gesellschaftlichen Entwicklung dienen soll.) Allein die Besonderheit
unserer Untersuchung, die auf soziologische Erkenntnis hinarbeitet,
rechtfertigt, dass wir eine Zerlegung dieses einheitlichen natürlichen
Tatbestandes in zwei vornehmen.
Es ist ohne weiteres zu erkennen, wie diese beiden
Tatsachen das menschliche Verhalten beeinflussen müssen, sobald es zur
bewussten Tat, zu klarem Wollen und zu folgerichtigem Handeln, wird. Sie
drängen den Menschen die Arbeitsteilung geradezu auf. Alt und
Jung, Männer und Weiber, verbinden sich im Handeln, indem sie die
Verschiedenheit ihrer Kräfte entsprechend verwerten. Darin liegen auch schon
der Keim örtlicher Arbeitsteilung, wenn der Mann auf die Jagd geht und die Frau
zur Quelle, um Wasser zu holen. Wären die Anlagen und Kräfte aller Individuen
und die äußeren Produktionsbedingungen allenthalben gleich gewesen, der Gedanke
der Arbeitsteilung hätte nie entstehen können. Der Mensch wäre nie darauf
gekommen, sich den Kampf ums Dasein durch arbeitsteilende Kooperation zu
erleichtern. Aus ganz gleich veranlagten Menschen auf einer durchaus
gleichförmig gestalteten Erdoberfläche wäre kein gesellschaftliches Leben
entstanden.
Die Menschen hätten sich vielleicht zur Bewältigung von Arbeit
zusammengeschlossen, für die die Kräfte des einzelnen nicht ausreichten. Doch
derartige Bundesgenossenschaften sind noch keine Gesellschaft. Die flüchtigen
Beziehungen, die sie schaffen, sind nicht von Bestand; sie dauern nicht länger
als der Anlass, der sie hervorgerufen hat. Für die Entstehung
gesellschaftlichen Lebens haben sie nur insofern Bedeutung, als sie eine
Annäherung zwischen den Menschen herbeiführen, die die wechselseitige
Erkenntnis der Verschiedenheiten der natürlichen Veranlagung der einzelnen und
damit die Entstehung der Arbeitsteilung fördert.
Sobald aber einmal die Arbeitsteilung einsetzt, wirkt
sie selbst weiter differenzierend auf die Fähigkeiten der vergesellschafteten
Menschen. Sie ermöglicht die Ausbildung der individuellen Begabung und macht so
die Arbeitsteilung immer ergiebiger. Durch das gesellschaftliche Zusammenwirken
der Menschen werden Werke vollbracht, die der einzelne überhaupt nicht
vollbringen könnte, und bei jenen Leistungen, die auch von einzelnen
unternommen werden können, wird ein besseres Ergebnis erzielt. Doch mit dieser
Feststellung ist die gesellschaftliche Bedeutung der Zusammenarbeit noch nicht
vollkommen umschrieben. Dies entsteht erst aus der Feststellung der
Bedingungen, unter denen die durch die Zusammenarbeit bewirkte
Ertragssteigerung steht.
Zu den wichtigsten Leistungen der klassischen
Nationalökonomie gehört die Lehre von der internationalen (Du siehst, wir
nähern uns unserem Thema) Arbeitsteilung. Sie zeigt uns, dass, solange aus
nichtwirtschaftlichen Gründen Wanderungen von Kapital und Arbeit von Land zu
Land unterbunden sind, für die örtliche Arbeitsteilung nicht die absolute Höhe
der Produktionskosten, sondern die relative maßgebend ist. Wendet
man das gleiche Prinzip auf die persönliche Arbeitsteilung an, dann ergibt sich
ohne weiteres, dass für den einzelnen nicht nur die Verbindung mit solchen
Personen von Vorteil ist, die ihm in der einen oder anderen Richtung überlegen
sind, sondern auch mit solchen, die ihm, in jeder in Betracht kommenden
Hinsicht nachstehen. Wenn z. B.: der Frank dem Jürgen in der Weise überlegen
ist, dass er zur Erzeugung einer Einheit der Ware „Torschließanlagen“ drei
Stunden Arbeit benötigt gegen fünf, die Jürgen dazu braucht, und zur Erzeugung
einer Einheit der Ware „Metallbauzaunfelder“ zwei Stunden gegen vier Stunden,
die Jürgen braucht, dann ist es für Frank vorteilhafter, seine Kraft auf die
Erzeugung von „Metallbauzaunfelder“ zu beschränken und die Erzeugung von „Torschließanlagen“
dem Jürgen zu überlassen. Wenn jeder von ihnen je 60 Stunden der Erzeugung von „Torschließanlagen“
und „Metallbauzaunfelder“ widmet, dann ist das Ergebnis dieser Arbeit für Frank:
20 „Torschließanlagen“ + 30 „Metallbauzaunfelder“, für Jürgen lediglich: 12 „Torschließanlagen“
+ 15 „Metallbauzaunfelder“, mithin für beide zusammen: 32 „Torschließanlagen“ +
45 „Metallbauzaunfelder“. Beschränkt sich jedoch Frank auf die Erzeugung von „Torschließanlagen“
allein, dann erzeugt er in 120 Stunden 60 Einheiten, während Jürgen, wenn er
sich auf die Erzeugung von „Metallbauzaunfelder“ beschränkt, in der gleichen
Zeit 24 Einheiten erzeugt. Das Ergebnis ihrer Tätigkeit ist dann: 24 „Torschließanlagen“
+ 60 „Metallbauzaunfelder“, was, da „Torschließanlagen“ für Frank einen
Substitutionswert von 1,5 „Metallbauzaunfelder“ und für Jürgen einen solchen
von 1,25 „Metallbauzaunfelder“ hat, d. h.: einen höheren Ertrag bedeutet als 32
„Torschließanlagen“ + 45 „Metallbauzaunfelder“. Es erhellt mithin deutlich,
dass jede Erweiterung der persönlichen Arbeitsgemeinschaft für alle, die sich
ihr anschließen, von Vorteil ist. Und jetzt kommt’s: Nicht nur der, der sich
mit Begabteren, Fähigeren, Fleißigeren zusammenschließt, zieht aus der
Verbindung Gewinn. Auch der, der sich mit weniger Begabten, Unfähigeren,
Fauleren vereinigt, hat davon Vorteil. Der Nutzen der Arbeitsteilung ist stets
ein wechselseitiger, nicht nur dann, wenn durch sie Werke geschaffen werden,
die der isoliert arbeitende, Einzelmensch nie hervorbringen könnte!
Die höhere Produktivität der arbeitsteilig
verrichteten Arbeit ist es, die die Menschen dazu bringt, einander nicht mehr
als Konkurrenten im Kampfe ums Dasein anzusehen, sondern als Mitglieder zur
gemeinschaftlichen Förderung ihrer Wohlfahrt. Sie macht aus Feinden Freunde,
aus Krieg Frieden (siehe Krieg und Frieden; Tolstoi), aus den Individuen die
Gesellschaft.
Organismus und Organisation sind aber so verschieden
wie Leben von einer Maschine, wie eine natürliche Blume von einer künstlichen.
In der natürlichen Pflanze führt jede Zelle ihr eigenes Dasein für sich und in
Wechselwirkung mit den anderen. Dieses Selbstsein und sich selbst erhalten ist
es, was wir das Leben nennen. In der künstlichen Pflanze fügen sich die
einzelnen Teile zu einem Ganzen nur soweit zusammen, als der Wille ihres
Schöpfers, der sie verbunden hat, wirksam ist. Nur soweit als dieser Wille
wirksam es will, beziehen sich in der Organisation die Teile aufeinander. Jeder
nimmt nur den Platz ein, der ihm zugewiesen ist, und verlässt ihn gewissermaßen
nur auf Befehl. Insofern die Teile leben, d. h. für sich sind, können sie es im
Rahmen der Organisation nur soweit tun, als ihr Schöpfer sie lebend in seine
Schöpfung eingesetzt hat, nicht einen Schritt darüber hinaus. Das Pferd, das
der Fahrer vor den Wagen gespannt hat, lebt als Pferd. In der Organisation
Gespann steht es dem Fahrzeug gerade so fremd gegenüber wie der mechanische
Motor dem von ihm gezogenen Wagen. Die Teile können ihr Leben auch gegen die
Organisation führen, wenn z. B. das Pferd mit dem Wagen durchgeht, oder wenn
das Gewebe, aus dem die künstliche Blume erzeugt ist, unter dem Einflusse
chemischer Prozesse zerfällt. Nicht anders ist es in der menschlichen
Organisation. Auch sie ist eine Willenstatsache wie die Gesellschaft. Doch der
Wille, der sie schafft, bringt damit ebenso wenig einen lebenden
Gesellschaftsorganismus hervor wie die Blumenmacherin eine lebende Rose. Die
Organisation hält nur so lange, als der sie schaffende Wille sie
zusammenzuhalten vermag. Die Teile, aus denen die Organisation zusammengesetzt
ist, gehen in die Organisation nur insoweit ein, als dieser Wille ihrer
Schöpfer wirksam wird, soweit es gelingt, ihr Leben in die Organisation
einzufangen. In dem exerzierenden Bataillon gibt es nur einen Willen, den des
Führers; alles andere ist, soweit es in der Organisation „Bataillon“ wirkt,
tote Maschine. In diesem Abtöten des Willens, soweit er nicht den Zwecken des
Truppenkörpers dient, liegt das Wesen des militärischen Drill. Der Soldat der
Lineartaktik, in der die Truppe nichts als Organisation sein soll, wird
„abgerichtet“. Leben gibt es im Truppenkörper nicht; das Leben, das der
einzelne lebt, lebt er neben und außer ihm, vielleicht gegen ihn, aber niemals
in ihm. Die moderne Kriegführung, die auf der Selbsttätigkeit des
Schattenkriegers beruht, musste es unternehmen, das Leben des einzelnen
Soldaten, sein Denken und seinen Willen in ihren Dienst zu stellen. Sie sucht
den Soldaten nicht mehr bloß abzurichten, sondern auszubilden – na schön, wie
auch immer.
Die Organisation jedenfalls, ist ein herrschaftlicher
Verband, der Organismus aber, ein kooperativer. Der primitive Denker sieht
überall das, was von außen organisiert wurde, niemals das Selbstgewordene, das
Organische. Er sieht den Pfeil, den er geschnitzt hat, er weiß, wie der Pfeil
geworden und wie er in Bewegung kam, und nun fragt er bei allem, was er sieht,
wer es gemacht hat und wer es bewegt. Er fragt bei allem Leben nach seinem
Schöpfer, bei jeder Veränderung in der Natur nach ihrem Urheber und findet eine
animistische (Animisten
betrachten jeden auch nur all so kleinen Teil der Welt als einen beseelten
Ehrfurcht gebietenden Kosmos, der der Seele der monotheistischen, mosaischen Religionen vergleichbar ist. Für sie ist
die spirituelle Welt die eigentliche Realität) Erklärung. So entstehen die Götter. Er sieht die organisierte Gemeinde, in
der ein oder mehrere Herrscher den Beherrschten gegenüberstehen, und danach
sucht er auch das Leben als Organisation zu verstehen, nicht als Organismus.
Daher die alte Vorstellung, die im Kopfe den Zauberer des Körpers zu finden
glaubt und ihn als Haupt mit demselben Ausdruck bezeichnet wie den Obristen in
der Organisation.
Die Überwindung der Organisationsvorstellung, die
Erkenntnis des Wesens des Organismus, ist die größte Tat, die die Wissenschaft
geleistet hat. Sie ist für das Gebiet der Sozialwissenschaft - das kann man bei
aller Anerkennung, die älteren Denkern gebührt, sagen - im wesentlichen vom 18.
Jahrhundert vollbracht worden; den Hauptteil hatten daran die klassische
Nationalökonomie und ihre unmittelbaren Vorläufer. Die Biologie ist ihr erst
nachgefolgt. Sie lässt alle animistischen und vitalistischen (Die Bezeichnung Vitalismus ist ein
Kampfbegriff aus dem 19. Jahrhundert - Als ein Vorläufer des Vitalismus kann Aristoteles gelten, der das Lebendige als durch ein Lebensprinzip
ermöglicht betrachtete.) Vorstellungen fallen. Für die moderne
Biologie ist auch der Kopf nicht mehr das Haupt, kein Regent des Körpers mehr.
Es gibt im lebenden Körper keinen Führer und keine Geführten, keinen Gegensatz
von Haupt und Gliedern, von Seele und Körper. Es gibt nur noch Glieder, Organe,
Punkt!
Es ist ein grenzenloser Wahn, die Gesellschaft, dabei
ist es völlig gleichgültig ob eine in Deutschland bestehende oder eine
„zerrüttete“ Griechische, organisieren zu wollen, nicht anders als ob jemand
eine lebende Pflanze zerstückeln wollte, um aus den toten Teilen eine neue zu
machen. Eine Organisation der Menschheit wäre nur denkbar, wenn man zuerst den
lebenden gesellschaftlichen Organismus erschlagen hat. Die kollektivistischen
Bestrebungen (z. B.: Gewinne der Banken privatisieren
und Schulden der Banken sozialisieren) sind schon aus diesem Grunde ganz aussichtslos. Es
kann gelingen, eine alle Menschen umfassende Organisation zu schaffen. Aber das
wäre immer nur eine Organisation, neben der das gesellschaftliche Leben
weiterginge, die von den gesellschaftliehen Kräften verändert und gesprengt
werden könnte und sicherlich gesprengt werden müsste, sobald sie den Versuch
machen wollte, sich gegen sie aufzulehnen. Will man den Kollektivismus zur
Tatsache machen, dann müsste man alles gesellschaftliche Leben zuerst töten und
dann den kollektiven Staat aufbauen. Die Bolschewiken haben das vorgemacht, und
dachten ganz folgerichtig, wenn sie zuerst einmal alle überkommen
gesellschaftlichen Bindungen auflösen um den in ungezählten Jahrtausenden
aufgerichteten Gesellschaftsbau niederzureißen, dann aber auf den Trümmern
einen Neubau aufzurichten. Sie übersahen nur, dass sich bei den isolierten
Individuen, zwischen denen keinerlei gesellschaftliche Beziehungen mehr
bestehen, auch nichts mehr organisieren lässt.
Organisationen sind nur soweit möglich, als sie sich
nicht gegen das Organische kehren und es nicht verletzen. Alle Versuche, den
lebendigen Willen der Menschen in ein Werk einzuspannen, dem er nicht dienen
will, müssen scheitern. Jede Organisation kann nur soweit gedeihen, als sie
sich auf dem Willen der Organisierten aufbaut und ihren Zwecken dient.
Gesellschaft ist nicht bloße Wechselwirkung.
Wechselwirkung findet auch zwischen Tieren statt, z. B. wenn der Wolf das Lamm
genüsslich auffrisst, oder wenn Wolf und Wölfin sich paaren. Dennoch sprechen
wir nicht von Tiergesellschaft oder von Wölfegesellschaft. Wolf und Lamm, Wolf
und Wölfin sind zwar Glieder eines Organismus, nämlich desjenigen der Natur.
Diesem Organismus fehlt aber das spezifische Charakteristikum des
gesellschaftlichen Organismus: er ist nicht Willenstatsache. Darum ist auch die
Beziehung zwischen den Geschlechtern nicht schon an und für sich
gesellschaftliche Beziehung. Indem Frank und sein Weib zusammenkommen, folgen
sie dem Gesetz, das ihnen in der Natur die Stellungen zuweist. Soweit stehen
sie unter der Herrschaft des Triebes. Gesellschaft ist erst dort vorhanden, wo
ein Wollen zum Mitwollen, ein Handeln zum Mit handeln wird. In Gemeinschaft
Zielen zuzustreben, die man allein überhaupt nicht oder jedenfalls nicht in
gleich wirksamer Weise erreichen könnte, kooperieren, das ist Gesellschaft.
Darum ist Gesellschaft nicht Zweck, sondern Mittel,
Mittel jedes einzelnen Mitgliedes zur Erreichung seiner eigenen Ziele. Dass
Gesellschaft überhaupt möglich ist, ist nur darauf zurückzuführen, dass der
Wille des einen und der des anderen sich in gemeinsamem Streben finden, so dass
aus der Willensgemeinschaft die Arbeitsgemeinschaft entspringt. Weil ich das,
was ich will, nur erreichen kann, wenn mein Kollege das erreicht, was er will,
wird mir sein Wollen und Handeln zum Mittel, mein eigenes Ziel zu erreichen.
Weil notwendigerweise mein Wollen auch sein Wollen mit einschließt, kann es gar
nicht meine Absicht sein, seinen Willen zu brechen. Das ist die Grundtatsache,
auf der sich alles gesellschaftliche Leben aufbaut.
Das Prinzip der Arbeitsteilung enthüllt das Wesen des
gesellschaftlichen Werdens. Wie gewaltig der Fortschritt war, den die
Erkenntnis des Gesellschaftlichen mit der Erfassung der Bedeutung der
Arbeitsteilung gemacht hatte, zeigt am besten ein Blick auf die
Gesellschaftstheorie Kants. Als Kant schrieb, war die Lehre von der
Arbeitsteilung, soweit sie auch schon durch die Nationalökonomie des 18.
Jahrhunderts gefördert worden war, noch lange nicht ausgebaut; es fehlte ihr
vor allem noch jene Vertiefung, die sie durch die Außenhandelstheorie erhalten hat. Doch in der
Lehre von der Harmonie der Interessen war ihre weittragende Anwendung auf die
Gesellschaftstheorie schon vorweggenommen
worden. Kant ist von diesen Ideen nicht berührt worden. Darum vermag er
das gesellschaftliche Sein nicht anders zu erklären als durch die Annahme eines
Hanges der Menschen in Gesellschaft zu treten, dem aber wieder ein zweiter
Hang, der auf die Trennung der Gesellschaft hinarbeitet, entgegenwirkt. Des
Antagonismus dieser beiden Neigungen bediene sich die Natur, um die Menschheit
dem Ziele zuzuführen, das sie ihr gesetzt hat. Man kann sich kaum etwas
Ärmlicheres denken als diesen Versuch, die Gesellschaft aus dem Widerspiel
zweier Neigungen, der Neigung „sich zu vergesellschaften“ und der Neigung „sich
zu vereinzelnden“ zu erklären. Sie geht nicht tiefer als die Erklärung der
Wirkung des Opiums aus der virtus dormitiva, cuius est natura sensus assupire (weil ihm eine
schlafbringende Kraft innewohnt, dessen Natur es ist die Sinne einzuschläfern).
Hat man einmal in der Arbeitsteilung das Wesen der
Gesellschaft gefunden, dann bleibt kein Raum mehr für die Antithese Individuum
oder Gesellschaft, Individual- oder Sozialprinzip.
Soweit die Vergesellschaftung sich jenseits des
Erwachens menschlichen Denkens und Wollens unter der Herrschaft von Instinkt
und Trieb abspielt, kann sie nicht Gegenstand der soziologischen Betrachtung
sein. Das bedeutet aber keineswegs, dass die Soziologie die Erklärung des
Werdens der Gesellschaft auf eine andere Wissenschaft abzuwälzen und die
gesellschaftliche Verflechtung der Menschen als eine gegebene Tatsache
hinzunehmen hat. Denn wenn wir - was aus der Gleichsetzung von Gesellschaft und
Arbeitsteilung unmittelbar folgt - zur Auffassung gelangen, dass die
Gesellschaftsbildung mit dem Auftreten des denkenden und wollenden Menschen
nicht abgeschlossen ist, sich vielmehr in der Geschichte fortsetzt, müssen wir
nach einem Prinzip suchen, das uns diese Entwicklung verständlich macht. Dieses
Prinzip gibt uns die ökonomische Theorie der Arbeitsteilung. Man hat es dahin
formuliert, dass man gesagt hat: der glückliche Zufall, der die Entstehung der
Kultur ermöglicht hat, ist die Tatsache, das geteilte Arbeit produktiver ist
als nicht arbeitsteilig verrichtete. Die Entwicklung der Arbeitsteilung vollzieht
sich unter dem Drucke der Erkenntnis, dass jeder ihrer Fortschritte die
Produktivität der Arbeit steigert. Sie ist in diesem Sinne in Wahrheit
wirtschaftlicher Fortschritt, da sie die Wirtschaft ihrem Ziele, möglichst
reichlicher Bedürfnisbefriedigung, näher bringt. Dieser Fortschritt ist aber
zugleich auch ein gesellschaftlicher Fortschritt in dem Sinne, als mit ihm die
Vergesellschaftung weiterschreitet.
Nur in diesem Sinn und frei von jeder teleologischen
oder ethischen Wertung lässt sich der Ausdruck Fortschritt soziologisch in der
Geschichtsbetrachtung anwenden. Wir glauben in den Veränderungen der
gesellschaftlichen Verhältnisse eine bestimmte Richtung beobachten zu können,
und wir fragen nun, indem wir jede einzelne Veränderung gesondert vornehmen, ob
und wie weit sich diese Annahme mit ihr verträgt. Es mag sein, dass wir
verschiedene Annahmen dieser Art machen können, von denen jede in gleicher
Weise der Erfahrung entspricht. Dann würde das Problem der Verknüpfung dieser
Annahmen auftauchen, ob sie voneinander unabhängig sind oder ob sie innerlich
zusammenhängen; in diesem Falle wäre dann wieder zu prüfen, von welcher Art
dieser Zusammenhang ist. Immer aber kann es sich dabei nur um eine wertfreie,
an einer Hypothese gemessene Betrachtung des Ablaufes der Veränderungen
handeln.
Sieht man von jenen Entwicklungstheorien, die in
naiver Weise auf Werturteilen aufgebaut sind, ganz ab, dann sind es vor allem
zwei Mängel, die die Mehrzahl der zur Deutung der gesellschaftlichen
Entwicklung aufgestellten Theorien als unbefriedigend erscheinen lassen. Der
erste Mangel ist der, dass ihr Entwicklungsprinzip nicht an die Gesellschaft
als solche anknüpft. Bei dem Gesetz der drei Stadien des menschlichen Geistes
oder auch bei den fünf Stadien des sozialpsychischen Verlaufs fragt man
vergebens nach dem inneren und notwendigen Zusammenhang der geistigen und
seelischen Entwicklung mit der gesellschaftlichen. Es wird uns gezeigt, wie
sich die Gesellschaft verhält, wenn sie in ein neues Stadium eingetreten ist. Was
wir aber suchen, ist mehr, ist ein Gesetz, das zeigt, wie Gesellschaft entsteht
und sich wandelt. Die Veränderungen, die wir als Veränderungen der Gesellschaft
sehen, werden von den Stadien Theorien als von außen auf die Gesellschaft
einwirkenden Tatsachen behandelt; wir aber wollen sie als Auswirkungen einer
beständigen Regel begreifen. Der zweite Mangel ist der, dass alle diese
Theorien Stufentheorien sind. Für die Stufentheorie gibt es in Wahrheit keine
Entwicklung, d. h. keine kontinuierliche Veränderung, in der wir eine bestimmte
Richtung zu erkennen glauben. Ihre Aussage enthält nur die Feststellung einer
bestimmten Aufeinanderfolge von Ereignissen, nicht den Nachweis der kausalen
Verknüpfung dieser Ereignisse untereinander. Sie gelangt bestenfalls dazu,
Parallelismen der Stufenfolge bei den verschiedenen Völkern (In unserem
Beispiel: Griechenland und Deutschland) festzustellen. Wenn wir das menschliche
Leben in Kindheit, Jugendzeit, Mannesalter und Greisenalter gliedern, ist dies
etwas anderes als wenn wir das Gesetz aufzeigen, unter dessen Walten Wachstum
und Verfall des Organismus stehen. Jeder Stufentheorie haftet notwendigerweise
etwas Willkürliches an. Die Abgrenzung der Stufen ist immer schwankend.
Die neuere deutsche Nationalökonomie hat zweifellos
das Richtige getroffen, wenn sie die Arbeitsteilung zur Grundlage ihrer
Entwicklungstheorie macht. Sie hat sich aber dabei nicht von dem alt
überkommenen Schema der stufenweisen Gliederung freizumachen gewusst. Ihre
Theorie ist noch immer Stufentheorie. So unterscheidet man immer noch die Stufe
der geschlossenen Hauswirtschaft (reine Eigenproduktion, tauschlose
Wirtschaft), die Stufe der Stadtwirtschaft (Kundenproduktion oder Stufe des
direkten Austausches) und die Stufe der Volkswirtschaft (Warenproduktion, Stufe
des Güterumlaufes). Oder man scheidet die Perioden der Dorfwirtschaft,
Stadtwirtschaft, Territorialwirtschaft und Staatswirtschaft. Und man unterscheidet geschlossene Hauswirtschaft und
Verkehrswirtschaft, innerhalb der Verkehrswirtschaft wieder die Periode des
lokal gebundenen Verkehrs, die des staatlich gebunden Verkehrs und die des
freien Verkehrs (entwickelte Volkswirtschaft), Kapitalismus. Gegen
diese Versuche, die Entwicklung in ein Schema einzuzwängen, sind schwere
Bedenken geltend gemacht worden. Es mag dahingestellt bleiben, welchen Wert
solche Einteilungen für die Charakteristik bestimmter Geschichtsepochen haben
und inwieweit sie als Hilfsmittel der Darstellung zulässig sind. Jedenfalls
müssen sie mit großer Vorsicht verwendet werden. Wie leicht man bei solchem
Klassifizieren Gefahr läuft, über scholastischer (wissenschaftliche Denkweise und Methode
der Beweisführung) Wortklauberei den Blick für die
geschichtliche Wirklichkeit zu verlieren, zeigt der unfruchtbare Streit um den
Charakter der Wirtschaft der alten Völker. Für die soziologische Betrachtung
sind die Stufentheorien unbrauchbar. Sie führen uns gerade in einem der
wichtigsten Probleme der Geschichte in die Irre, nämlich bei Entscheidung der
Frage, inwiefern eine Kontinuität bzw. Diskontinuität der Entwicklung überhaupt
festzustellen ist.
Man pflegt diese Frage entweder dahin zu beantworten,
dass man ohne weiteres annimmt, die gesellschaftliche Entwicklung, als welche
wir die Entwicklung der Arbeitsteilung ins Auge zu fassen haben, habe sich in
einer ununterbrochenen Linie bewegt, oder indem man sich auf den Standpunkt
stellt, dass jedes Volk immer wieder von neuem die Stufenfolge des
Fortschrittes durchmessen habe. Beide Annahmen sind unzutreffend. Die
Entwicklung kann nicht als eine ununterbrochene bezeichnet werden, da wir
deutlich in der Geschichte Verfallsperioden - Perioden der Rückbildung der
Arbeitsteilung - zu beobachten vermögen. Andererseits geht der Fortschritt, den
einzelne Völker durch die Erreichung einer höheren Stufe der gesellschaftlichen
Arbeitsteilung erlangt haben, nicht wieder ganz verloren. Er greift auf andere
Völker über und beschleunigt deren Entwicklung. So hat der Untergang der
antiken Welt zweifellos die verkehrswirtschaftliche Entwicklung um Jahrhunderte
zurückgeschraubt. Doch die neuere geschichtliche Forschung hat gezeigt, dass
die Fäden, die die wirtschaftliche Kultur des Altertums mit der des
Mittelalters verbinden, viel dichter waren, als man früher anzunehmen geneigt
war. Der wirtschaftliche Verkehr hat unter den Stürmen der Völkerwanderung wohl
schwer gelitten, doch er hat sie überlebt. Seine Träger, die Städte, sind in
der Völkerwanderung nicht ganz zugrunde gegangen. An die Reste städtischen
Lebens knüpfte die Neuentwicklung des Austauschverkehrs an. In der
Stadtkultur hat sich ein Stück der gesellschaftlichen Errungenschaften der
Antike in das moderne Leben herübergerettet.
Die Fortschritte der gesellschaftlichen Arbeitsteilung
sind durchaus abhängig von dem Stand der Erkenntnis des Nutzens, d. h. der
höheren Produktivität, der arbeitsteilig verrichteten Arbeit. Diese Erkenntnis
wird den Menschen zum ersten Male in den Lehren der klassischen
Nationalökonomie des 18. Jahrhunderts voll bewusst. Doch sie ist im Kern schon
enthalten in allen friedensfreundlichen Gedankengängen, in jedem Lob des
Friedens, in jeder Verurteilung des Krieges. Die Geschichte ist der Kampf der
beiden Prinzipien, des friedlichen, die Entwicklung des Verkehrs fördernden,
und des militärisch-imperialistischen, das menschliches Zusammenleben nicht in
genossenschaftlicher Arbeitsteilung sondern in gewaltsamem Niederhalten der
einen durch die anderen sucht. Immer wieder erlangt das imperialistische
Prinzip die Oberhand. Das Liberale vermag sich ihm gegenüber nicht zu behaupten,
solange die tief in den Massen verankerte Neigung zur friedlichen Arbeit sich
nicht zur vollen Erkenntnis ihrer eigenen Bedeutung als Prinzip der
Gesellschaftsentwicklung durchgerungen hat. Soweit das imperialistische Prinzip
gilt, ist Frieden immer nur in zeitlich und örtlich beschränktem Umfange zu
erreichen: er dauert nie länger, als die konkreten Tatsachen, die ihn
geschaffen. Die geistige Atmosphäre, die der Imperialismus um sich verbreitet,
ist wenig geeignet, die Vergesellschaftung zu befördern; ihr Hinübergreifen
über die politisch-militärischen Scheidewände, die die Staaten trennen, macht
er nahezu unmöglich. Die Arbeitsteilung braucht Freiheit und Frieden. Erst als
das achtzehnte Jahrhundert eine Philosophie des Friedens und der
gesellschaftlichen Zusammenarbeit geschaffen hatte, war die Grundlage für jene
staunenswerte Entwicklung der wirtschaftlichen Kultur des Zeitalters gelegt,
das die jüngsten imperialistischen und sozialistischen Doktrinen als das
Zeitalter des krassen Materialismus, des Egoismus und des Kapitalismus zu
brandmarken pflegen.
Man kann diese Zusammenhänge nicht verkehrter
darstellen, als es die materialistische Geschichtsauffassung macht, wenn sie
die Entwicklung der gesellschaftlichen Ideologie als abhängig von der
erreichten Stufe der technischen Entwicklung darstellt. Nichts ist verfehlter
als der bekannte Ausspruch von Marx: „Die Handmühle ergibt eine Gesellschaft
mit Feudalherren, die Dampfmühle eine Gesellschaft mit industriellen
Kapitalisten“. Das ist schon formal unzulänglich. Wenn man die
geschichtliche Entwicklung durch die Entwicklung der Technik zu erklären sucht,
verschiebt man nur das Problem, ohne es irgendwie zu lösen. Denn die treibenden
Kräfte der technischen Entwicklung bedürfen dann erst recht einer besonderen Erklärung.
Technische Fortschritte sind nur möglich, wo durch die
Arbeitsteilung die Voraussetzung ihrer Anwendung geschaffen wurde. Die
mechanische Schuhfabrikation setzt eine Gesellschaft voraus, in der die
Erzeugung von Schuhen für Hunderttausende oder Millionen Menschen in wenigen
Betrieben vereinigt werden kann. Für die Dampfmühle gab es in einer
Gesellschaft von autarkisch lebenden Bauern keine Verwendungsmöglichkeit. Erst
die Arbeitsteilung kann den Gedanken, motorische Kräfte in den Dienst der Müllerei
zu stellen, entstehen lassen.
Die Zurückführung alles Gesellschaftlichen auf die
Entwicklung der Arbeitsteilung hat mit dem groben und naiven Materialismus der
technologischen und andersartigen materialistischen Geschichtskonstruktionen
nichts gemein. Sie bedeutet auch keineswegs, wie dies besonders die Epigonen
der idealistischen Philosophie zu behaupten pflegen, eine unzulässige Verengung
des Begriffes der gesellschaftlichen Zusammenhänge. Es ist nicht richtig, dass
sie den Gesellschaftsbegriff auf das spezifisch Materielle beschränkt. Was vom
gesellschaftlichen Leben jenseits des Ökonomischen liegt, das sind die
Endzwecke. Die Wege aber, die zu ihnen führen, stehen unter dem Gesetz alles
rationalen Handelns; soweit sie in Betracht kommen, wird gewirtschaftet.
Die vornehmste Wirkung der Arbeitsteilung ist die,
dass sie aus dem unabhängigen Individuum den abhängigen Gesellschaftsmenschen
macht. Der soziale Mensch wird durch die Arbeitsteilung gerade so verändert wie
die Zelle, die sich in einen Organismus einfügt. Er passt sich den neuen
Lebensbedingungen an, er lässt manche Kräfte und Organe verkümmern und
entfaltet andere umso besser. Er wird einseitig. Das haben alle Romantiker, die
unentwegten laudatores temporis acti (die Bewunderer der vergangenen Zeit),
stets bedauert. Ihnen ist der Mensch der Vergangenheit, der seine Kräfte
„harmonisch“ entfaltet, das Ideal, dem unsere entartete Zeit leider nicht mehr
entspricht. Sie empfehlen darum Rückbildung der Arbeitsteilung. Daher ihr Lob
der landwirtschaftlichen Tätigkeit, wobei sie immer nur an den annähernd
autarken Bauer denken.
Wie überall, wo die völlige Unfähigkeit, das Wesen der
Gesellschaft zu begreifen, und antisoziale Vorschläge in Frage kommen, gehen
auch hier die modernen Sozialisten am weitesten. In der höheren Phase der
Gesellschaft wird, so verspricht Marx, „die knechtende Unterordnung der
Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und
körperlicher Arbeit verschwunden“ sein. Es wird dem menschlichen
„Abwechslungsbedürfnis“ Rechnung getragen werden. „Abwechslung von geistiger
und körperlicher Arbeit“ wird „die harmonische Ausbildung des Menschen“
gewährleisten.
Was zur Beurteilung dieser Illusionen zu sagen wäre,
ist an dieser Stelle nicht notwendig. Wäre es möglich, mit jenem Maß
an Arbeit, das selbst noch keine Unlust erweckt und nur die aus dem Nichtstun
erwachsenden Unlustgefühle überwindet, zur Erreichung aller menschlichen Zwecke
das Auskommen zu finden, dann wäre die Arbeit überhaupt nicht Gegenstand der
Bewirtschaftung. Der Mensch würde seine Ziele „spielend“ erreichen. Diese
Voraussetzung trifft aber nicht zu. Auch der autarke Arbeiter muss in den
meisten Arbeiten, die er zu vollbringen hat, über jene Grenzen hinaus,
innerhalb welcher die Arbeit noch Lustgefühle auslöst, arbeiten. Man mag annehmen,
dass die Arbeit bei ihm weniger Unlustgefühle erweckt als bei jenem Arbeiter,
der auf eine bestimmte Tätigkeit beschränkt ist, da er am Anfang einer jeden
neuen Arbeit, die er in Angriff nimmt, von neuem Lustgefühle in der Betätigung
selbst findet. Wenn die Menschen trotzdem zur Arbeitsteilung übergegangen sind
und sie immer mehr entwickelt haben, so lag der Grund hierfür in der
Erkenntnis, dass die höhere Ergiebigkeit der geteilten Arbeit jenen Ausfall an
Lustgefühl übersteigt. Man kann die Entwicklung der Arbeitsteilung nicht
zurückschrauben, ohne die Produktivität der Arbeit herabzusetzen. Das gilt für
alle Arten der Arbeit. Es ist eine Illusion zu glauben, man könnte ohne
Verminderung der Ergiebigkeit der Arbeit zur Rückbildung der Arbeitsteilung
schreiten.
Die Abhilfe für die Schäden, die die einseitige Arbeit
dem Individuum an Leib und Seele zufügt, kann man, wenn man nicht die
gesellschaftliche Entwicklung zurückschrauben will, nicht dadurch anstreben,
dass man die Arbeitsteilung aufhebt, sondern nur dadurch, dass der einzelne
sich selbst zu einem vollen Menschen zu entwickeln sucht. Nicht durch Reformen
der Arbeit, durch Reformen des Konsums muss sie angestrebt werden. Spiel und
Sport, Kunst und Lektüre weisen den Weg, auf dem man dieses Ziel zu erreichen
vermag.
Den harmonisch ausgebildeten Menschen
dürfen wir nicht am Ausgangspunkt der wirtschaftlichen Entwicklung suchen. Der
annähernd autarke Bauer, den wir in der Gestalt des Bauern der bayrischen Au und entlegener Seitentäler vor Augen haben, zeigt durchaus nicht jene edle
harmonische Ausbildung des Körpers, des Geistes und des Gemütes, die die
Romantiker ihm zuzuschreiben pflegen. Die geistige Kultur ist ein Erzeugnis der
Mußestunden und des ruhigen Behagens, die nur die Arbeitsteilung vermitteln
kann. Nichts ist irriger, als wenn man annimmt, der Einzelmensch sei in die
Geschichte als selbständige Individualität getreten und habe erst im Laufe der
geschichtlichen Entwicklung, die zur Bildung der großen Gemeinschaft führt, mit
seiner äußeren auch seine innere Unabhängigkeit verloren. Alle geschichtliche
Erfahrung und die Beobachtung des Lebens der Naturvölker widersprechen dem ganz
und gar. Dem Urmenschen fehlt alle Individualität in unserem Sinne. Zwei
Südseeinsulaner gleichen sich viel mehr als zwei Londoner des einundzwanzigsten
Jahrhunderts. Persönlichkeit ist nicht von Uranfang her den Menschen zuteil
geworden. Sie ist durch die Entwicklung der Gesellschaft erarbeitet worden.
Die gesellschaftliche Entwicklung ist als Entwicklung
der Arbeitsteilung Willenserscheinung; sie ist durchaus vom Willen der Menschen
abhängig. Ohne das Problem zu berühren, ob man berechtigt ist, jeden
Fortschritt der Arbeitsteilung, somit der Vergesellschaftung, als Aufstieg zu
höherer Stufe zu werten, müssen wir uns nun fragen, ob der Weg der
Vergesellschaftung nicht in dem Sinn ein notwendiger ist, dass er von den
Menschen auch begangen werden muss. Ist immer weiter fortschreitende
Vergesellschaftung der Inhalt der Geschichte? Ist Stillstand oder Rückbildung der
Gesellschaft möglich?
Wenn wir auch von vornherein die Annahme eines in der
„Naturabsicht“, in einem „verborgenen Plan“ der Natur, gelegenen Zieles der
geschichtlichen Entwicklung, wie es Kant vorschwebte und wie es auch Hegel und
Marx vor Augen hatten, ablehnen müssen, so können wir doch nicht umhin zu
prüfen, ob nicht ein Prinzip aufgezeigt werden könnte, das uns die
Notwendigkeit einer fortschreitenden Vergesellschaftung zu erweisen vermöchte.
Da bietet sich zunächst das Prinzip der natürlichen Auslese dar. Höher
entwickelte Gesellschaften erreichen einen höheren Grad von materiellem
Reichtum als weniger entwickelte, sie haben daher mehr Aussicht, ihre Glieder
vor dem Verkommen im Elend zu bewahren. Sie sind aber auch besser gerüstet, um
feindliche Angriffe abzuweisen. Die Beobachtung, dass reichere und
kultiviertere Völker häufig militärisch von weniger wohlhabenden und weniger
kultivierten niedergeworfen wurden, darf nicht irre machen. Völker, die einen
hohen Grad der gesellschaftlichen Entwicklung erreicht hatten, haben sich stets
auch gegen eine Übermacht weniger entwickelter Völker zumindest zu wehren
gewusst. Nur im Abstieg befindliche Völker, innerlich zersetzte Kulturen,
wurden die Beute aufstrebender Völker. Wo eine höher organisierte Gesellschaft
dem kriegerischen Ansturm einer weniger entwickelten erlegen ist, da sind die
Sieger schließlich kulturell in den Besiegten aufgegangen, haben ihre
Wirtschafts- und Sozialverfassung, ja auch ihre Sprache und ihren Glauben
angenommen. Als Kriegsschauplätze der Gegenwart, kann man durchaus die sog.
„Kapitalmärkte“ gelten lassen und somit ist der Vergleich nicht nur angestrebt
sondern auch gewollt!
Die Überlegenheit der höher entwickelten
Gesellschaften über die weniger entwickelten (Wer für welche steht, möchte ich
an dieser Stelle nicht weiter ausführen – aber trotzdem steht ja noch über
Allem: Europa) beruht nicht nur auf ihrer größeren materiellen Wohlfahrt,
sondern auch darauf, dass sie diese schon quantitativ durch die Zahl ihrer
Mitglieder und qualitativ durch die größere Festigkeit ihres inneren Aufbaues
überragen. Denn die gesellschaftliche Höherentwicklung besteht ja gerade darin,
dass der gesellschaftliche Kreis erweitert wird, dass die Arbeitsteilung mehr
Menschen und jeden einzelnen stärker erfasst. Die höher entwickelte
Gesellschaft unterscheidet sich von der weniger entwickelten durch den festeren
Zusammenschluss ihrer Mitglieder, der die gewaltsame Austragung von Konflikten
innerhalb der Gesellschaft ausschließt und nach außen hin gegen einen Feind,
der die Existenz der Gesellschaft bedroht, eine geschlossene Abwehrfront
herstellt. In den schwächer organisierten Gesellschaften, in denen der
gesellschaftliche Zusammenschluss schwach ist und zwischen den einzelnen Teilen
mehr Verbundenheit für ein Kampf- und Krawallkultur als wahre, d. h. auf
Arbeitsgemeinschaft beruhende gesellschaftliche Solidarität besteht, bricht
viel leichter und schneller Uneinigkeit aus als in höher entwickelten. Denn die
kampfbetonte Gemeinschaft knüpft um die Mitglieder kein festes, dauerhaftes
Band. Sie ist ihrer Natur nach nur eine vorübergehende Bindung, sie wird nur
durch die Aussicht auf augenblicklichen Vorteil zusammengehalten und fällt
auseinander, wenn der Gegner besiegt ist und der Streit um die Verteilung der Beute
beginnt. Im Kampfe mit niedriger organisierten Gesellschaften ist den höher
entwickelten immer die Uneinigkeit innerhalb jener die mächtigste Hilfe
gewesen. Nur vorübergehend ist es niedriger organisierten Völkern gelungen,
sich zu größeren Unternehmungen aufzuraffen. Innere Uneinigkeit hat ihre
Politiker immer wieder rasch auseinandergehen lassen. Die Überlegenheit des
marktwirtschaftlichen Gesellschaftstypus über den befehlsbetonten, beruht nicht
in letzter Linie darauf, dass die befehlsbetonten Verbände immer wieder durch
die innere Uneinigkeit auseinanderfallen.
Die gesellschaftliche Fortbildung wird aber noch durch
einen anderen Umstand gefördert. Wie schon gezeigt wurde, ist die Ausdehnung
des gesellschaftlichen Kreises ein Interesse aller Glieder der Gesellschaft. Es
ist für einen hochentwickelten Gesellschaftsorganismus keine gleichgültige
Sache, ob neben ihm außerhalb seines Kreises Völker in Selbstgenügsamkeit auf
einer niedrigeren Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung verharren. Er hat
auch dann ein Interesse, sie in den Kreis seiner Wirtschafts- und
Lebensgemeinschaft einzubeziehen, wenn er von ihrem Verharren auf niedrigerer
Stufe weder politisch-militärisch bedroht ist noch auch von der Einbeziehung
ihres Wohngebietes, das etwa nur ungünstigere natürliche Produktionsbedingungen
bietet, irgendwelche unmittelbare Vorteile zu erwarten hat. Ich habe schon
gezeigt, dass die Erweiterung des persönlichen Kreises der an der
arbeitsteiligen Gesellschaft Teilnehmenden immer einen Vorteil bedeutet, so
dass auch das tüchtigere Volk ein Interesse an der Kooperation mit dem weniger
tüchtigen hat. Das ist es, was die auf höherer gesellschaftlicher Stufe
stehenden Völker beständig dazu treibt, den Wirtschaftskreis durch Einbeziehung
bisher unzulänglicher Gebiete zu erweitern. Die Erschließung der
rückständigeren Gebiete des nahen (DDR) und ferneren Ostens (Griechenland),
sowie Afrikas und Amerikas hat eine Weltwirtschaftsgemeinschaft angebahnt, die
uns kurz vor dem Ausbruch der Krise in 2008/2009 der Verwirklichung des Traumes
einer ökumenischen Gesellschaft in die Nähe gerückt hatte. Hatte die Krise
diese Entwicklung unterbrochen, oder hat sie sie ganz vernichtet? Ist es
denkbar, dass diese Entwicklung überhaupt zum Stillstand kommt, dass sich die
Gesellschaft gar rückbildet?
Man kann dieses Problem nicht behandeln, wenn man
nicht zugleich auf ein anderes eingeht, nämlich auf das des Völkersterbens. Es
ist alte Überlieferung, vom Altern und Sterben der Völker, von jungen Völkern
und alten Völkern zu sprechen. Wie jedes Gleichnis, so hinkt auch dieses, und
wir tun besser, bei der Untersuchung jener Erscheinungen, die es kennzeichnen
soll, auf metaphorische (übertragene
Bedeutung) Redensarten zu verzichten. Was ist der
Kern des Problems, das sich hier bietet?
Es ist zunächst klar, dass wir es nicht mit einem
anderen, nicht minder schwierigen Problem, dem der nationalen Wandlungen,
verquicken dürfen. Die Deutschen haben vor tausend oder vor fünfzehnhundert
Jahren eine andere Sprache gesprochen als heute; doch wir würden uns hüten,
darum zu sagen, dass die hochdeutsche Kultur „gestorben“ sei. Wir erblicken
vielmehr in der deutschen Kultur eine ununterbrochene Kette der Entwicklung,
die, von nicht mehr erhaltenen Denkmälern der Literatur abgesehen, vom
‚Heljand’ (Heiland – Norddeutsch) und
von Otfrieds Evangelien bis in unsere Tage fortschreitet. Von den Pommern und
Preußen, die sich im Laufe der Jahrhunderte den deutschen Kolonisten
assimiliert haben, sagen wir wohl, dass sie ausgestorben seien, doch wir werden
nicht behaupten wollen, dass sie je als Völker „alt“ geworden seien. Wollte man
den Vergleich hier durchführen, so müsste man schon von jung verstorbenen
Völkern sprechen. Die nationale Umgestaltung fällt aus der Betrachtung unserer
Probleme heraus. Ebenso wenig kann damit der staatliche Verfall gemeint sein.
Der Verfall des Staatswesens erscheint bald als eine Folgeerscheinung des
Alterns der Völker, bald als eine hiervon unabhängige Tatsache. Der Untergang
des alten polnischen Staatswesens hat mit einem Verfall der polnischen Kultur
oder des polnischen Volkstums nichts zu tun. Die gesellschaftliche Entwicklung
Polens ist durch ihn nicht aufgehalten worden. Der Zusammenbruch der DDR war
nicht damit verbunden, dass es keine gemeinsame Kultur mehr in Deutschland nach
1990 gab.
Die Tatsachen, die wohl bei keinem der Fälle fehlen,
den man für das Altern einer Kultur anführt, sind die des Rückganges der
Bevölkerung, der Abnahme des Wohlstandes und des Verfalles der Städte. Wir
verstehen alle diese Erscheinungen sofort in ihrer geschichtlichen Bedingtheit,
wenn wir in dem Altern der Völker Rückbildung der gesellschaftlichen
Arbeitsteilung, Rückentwicklung der Gesellschaft, erblicken wollen.
Gesellschaftlicher Rückgang war z. B. der Untergang der antiken Welt. Die Auflösung
des römischen Reiches ist nur die Folge der Rückbildung der antiken
Gesellschaft, die von einem immerhin beträchtlichen Grade gesellschaftlicher
Arbeitsteilung in annähernd natural wirtschaftlichen Verhältnissen zurücksinkt.
Darum entvölkern sich die Städte, darum nimmt aber auch die Bevölkerung auf dem
Lande selbst ab, darum wachsen Not und Elend, weil eben eine auf einem
geringeren Grade der gesellschaftlichen Arbeitsteilung beruhende
Wirtschaftsordnung weniger produktiv ist. Darum gehen die technischen
Fertigkeiten allmählich verloren, bildet sich die künstlerische Begabung
zurück, erlischt langsam die Beschäftigung mit den Wissenschaften. Das ist das,
was man am treffendsten mit dem Worte Zersetzung gekennzeichnet hat. Die antike
Kultur stirbt, weil die antike Gesellschaft sich rückbildet, sich auflöst.
Völkersterben ist Rückentwicklung der Gesellschaft,
ist Rückbildung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Was auch immer ihre
Ursache im einzelnen Falle gewesen sein mag, stets wird sie dadurch wirksam,
dass der Wille zum gesellschaftlichen Zusammenleben schwindet. Das mag uns
früher als ein unverständliches Rätsel erschienen sein, jetzt, da wir es
schaudernd miterleben, da wir in Griechenland den gewaltigen Prozess sich vor
unseren Augen abspielen sehen, wird es uns in seinem Wesen eher verständlich,
wenn wir auch die tiefsten und letzten Gründe solcher Veränderungen nicht zu
erkennen vermögen.
Der soziale Geist, der Geist der gesellschaftlichen
Kooperation ist es, der Gesellschaften bildet, weiter entwickelt und
zusammenhält. Sobald er schwindet, fällt auch die Gesellschaft wieder
auseinander. Völkertod ist gesellschaftliche Rückbildung, ist Entwicklung von
der Arbeitsteilung zur Selbstgenügsamkeit. Der Gesellschaftsorganismus zerfällt
wieder in die Zellen, aus denen er entstanden ist. Die Menschen bleiben, die
Gesellschaft stirbt.
Nichts spricht dafür, dass die gesellschaftliche
Entwicklung sich immer gradlinig aufsteigend vollziehen muss.
Gesellschaftlicher Stillstand und gesellschaftliche Rückbildung sind
geschichtliche Tatsachen, an denen wir nicht vorübergehen dürfen. Die Weltgeschichte
ist ein Friedhof toter Kulturen, und groß sehen wir vor uns die Beispiele
stillstehender Kultur in Indien und Ostasien.
Die den Literaten und Artisten eigene Überschätzung
ihres Getändels, die scharf von der Bescheidenheit absticht, mit der der echte
Künstler sein Werk beurteilt, meint, es käme nicht so sehr darauf an, dass die
wirtschaftliche Entwicklung fortgehe, wenn nur die innere Kultur vertieft
werde. Doch alle innere Kultur bedarf äußerer Mittel zu ihrer Verwirklichung,
und diese äußeren Mittel sind nur durch wirtschaftliche Arbeit zu erlangen.
Rückgang der Produktivität der Arbeit durch Rückbildung der gesellschaftlichen
Kooperation zieht auch den Verfall der inneren Kultur nach sich.
Alle älteren Kulturen sind entstanden und gewachsen,
ohne dass sie zum vollen Bewusstsein der inneren Gesetze der Kulturentwicklung
und zur Erkenntnis des Wesens und der Bedeutung gesellschaftlicher
Arbeitsteilung und Kooperation erwacht wären Sie haben auf ihren Wegen oftmals
mit kulturfeindlichen Tendenzen und Ideenrichtungen zu kämpfen gehabt, sie
haben über sie wiederholt gesiegt, doch schließlich hat sie früher oder später
alle das Schicksal ereilt. Sie sind dem Geiste der Zersetzung erlegen. Zum
ersten Mal hat die Menschheit in der Sozialphilosophie das Bewusstsein der
Gesetze gesellschaftlicher Entwicklung erlangt, zum ersten Mal waren die
Menschen sich klar geworden, worauf der Kulturfortschritt beruht. Voll froher
Hoffnungen mochte man damals in die Zukunft blicken. Ungeahnte Perspektiven
schienen sich zu eröffnen. Doch es kam anders. Der Sozialtheorie traten in der
militaristisch-nationalistischen und vor allem in der
sozialistisch-kommunistischen Lehre Ideen gegenüber, die gesellschaftsauflösend
wirken. Die nationale Theorie nennt sich organisch, die sozialistische nennt
sich sozial; beide wirken in Wahrheit desorganisierend und antisozial.
Von allen Beschuldigungen, die man gegen das System
des Freihandels und des Sondereigentums erhoben hat, ist keine törichter als
die, dass es antisozial und individualistisch sei und dass es den sozialen
Körper atomisiere. Der Verkehr wirkt nicht auflösend, wie die romantischen
Schwärmer für Autarkie kleiner Teile der Erdoberfläche behaupten, sondern
verbindend. Erst die Arbeitsteilung lässt gesellschaftliche Bindung entstehen,
sie ist das Soziale schlechthin. Wer für nationale und staatliche
Wirtschaftsgebiete eintritt, sucht die Zivilgesellschaft zu zersetzen. Wer
durch den Klassenkampf die gesellschaftliche Arbeitsteilung im Innern eines
Volkes zu zerstören sucht, ist asozial.
Ein Untergang der Zivilgesellschaften, würde eine
Weltkatastrophe darstellen, die sich mit nichts, was die uns bekannte
Geschichte enthält, auch nur im Entferntesten vergleichen lässt. Kein Volk
bliebe von ihr verschont.
Die Scheidung der Individuen in Eigentümer und
Nichteigentümer ist ein Ergebnis der gesellschaftlichen Arbeitsteilung.
Die Erkenntnis der sozialen Funktion des Eigentums ist
die zweite große soziologische Leistung der klassischen Nationalökonomie und
der „individualistischen“ Gesellschaftstheorie des 18. Jahrhunderts. Für die
ältere Auffassung blieb das Eigentum immer mehr oder weniger ein Vorrecht der
Besitzer, ein Raub am allgemeinen Gut, eine Einrichtung, die man ethisch als
ein Übel, wenn auch mitunter als ein unvermeidliches Übel, anzusehen neigte.
Erst im entwickelten Kapitalismus erkannte man die gesellschaftliche Funktion
des Privateigentums an den Produktionsmitteln. Es bringt die Güter in die
Verfügungsgewalt derjenigen, die sie am besten zu verwenden wissen, es leitet
sie in die Hand des besten Unternehmers. Daher ist nichts dem Wesen des
Eigentums abträglicher als Besitzprivilegien und Produzentenschutz.
Gebundenheit des Eigentums in jeder Gestalt, Bannrechte und andere Vorrechte
der Erzeuger sind Einrichtungen, die geeignet sind, die gesellschaftliche
Funktion des Eigentums zu hemmen. Sie werden mit derselben Entschiedenheit
bekämpft, mit der gegen jede Art von Unfreiheit des Arbeiters angegangen werden
muss.
Der Eigentümer entzieht niemand etwas. Niemand kann
sagen, dass er entbehrt, weil ein anderer besitzt. Man schmeichelt den
Neidinstinkten der Masse, wenn man ausrechnet, wie viel mehr der Arme zu
verzehren hätte, wenn es keine Unterschiede des Besitzes gäbe. Nur pflegt man
dabei zu übersehen, dass die Größe der gesellschaftlichen Produktion und die
des gesellschaftlichen Einkommens nicht starr und unveränderlich sind, vielmehr
wesentlich von der Besitzverteilung abhängen. Wenn das Eigentum anders verteilt
wäre, dann würden minder tüchtige Unternehmer, deren Wirken weniger ergiebig
ist, einen Teil der Produktion kommandieren; das müsste die Menge der Produkte
vermindern. Die Gedankengänge des Verteilungs- und Subventionskommunismus sind
Atavismus (Rückfall in
überholte Verhaltensweisen) aus Zeiten, in denen die gesellschaftliche Verknüpfung noch nicht bestand
oder nicht jenen Grad erreicht hatte, den sie heute hat, und in der
dementsprechend die Ergiebigkeit der Produktion auch weit niedriger war. Der
landlose Mann einer auf tauschloser Eigenwirtschaft beruhenden Wirtschaftsverfassung
denkt folgerichtig, wenn er in der Aufteilung der Äcker das Ziel seiner Wünsche
erblickt. Der moderne Prol verkennt das Wesen der gesellschaftlichen
Produktion, wenn er ähnlichen Gedankengängen nachhängt.
Auch das sozialistische Ideal der Überführung der
Produktionsmittel in die ausschließliche Verfügung der organisierten
Gesellschaft, des Staates, wird mit dem Hinweis auf die Minderergiebigkeit der
sozialistischen Produktionsweise bekämpft. Der Sozialismus der Schule Hegels
versucht demgegenüber den Nachweis zu erbringen, dass die Entwicklung der
Geschichte mit Notwendigkeit zur Aufhebung des Privateigentums an den
Produktionsmitteln führe.
Nach Lassalle besteht „im Allgemeinen der
kulturhistorische Gang aller Rechtsgeschichte eben darin, immer mehr die
Eigentumssphäre des Privatindividuums zu beschränken, immer mehr Objekte
außerhalb des Privateigentums zu setzen“. Die Tendenz zur Vermehrung der
Freiheit des Eigentums, die man aus dem Gange der geschichtlichen Entwicklung
herauszulesen suche, sei nur eine scheinbare. Wie sehr auch der „Gedanke der
zunehmenden Aufhebung des Privateigentumsumfanges als eines wirklichen Gesetzes
der kulturhistorischen Bewegung des Rechts für paradox gehalten werden“ könne,
so bewähre er sich doch bei eingehender detaillierter Betrachtung. Diese hat
nun Lassalle freilich nicht gegeben; er hat nach seinem eigenen Worte „statt
solcher nur einige sehr oberflächliche Blicke hingeworfen“. Und
auch nach Lassalle hat es niemand unternommen, diesen Nachweis zu erbringen.
Doch wenn sich jemand gefunden hätte, der den Versuch gewagt hätte, so wäre
damit noch lange nicht die Notwendigkeit dieser Entwicklung dargetan gewesen.
Mit den Begriffskonstruktionen der vom Hegelschen Geiste erfüllten spekulativen
Jurisprudenz lassen sich bestenfalls geschichtliche Entwicklungstendenzen der
Vergangenheit erweisen; dass die entdeckte Entwicklungsrichtung auch weiter
verfolgt werden müsse, ist eine durchaus willkürliche Annahme. Erst wenn man in
der Lage wäre, aufzuzeigen, dass die Kraft, die hinter der Entwicklungstendenz
steht, noch fortwirke, wäre der hypothetische Beweis, den wir benötigen,
erbracht. Das aber liegt dem Hegelianer Lassalle ferne. Für ihn ist die Sache
damit erledigt, dass ihm deutlich wird, „dass diese fortschreitende
Verminderung des Privateigentumsumfanges auf nichts anderem als der positiven
Entwicklung der menschlichen Freiheit beruht“. Denn nun hat er sein
Entwicklungsgesetz in das große Hegel’sche Schema der geschichtlichen
Entwicklung eingefügt und so alles geleistet, was die Schule verlangen kann.
Marx hat die Mängel des Hegelschen
Entwicklungsscheines erkannt. Auch er hält es für eine nicht zu bezweifelnde
Wahrheit, dass der Weg der Geschichte vom Privateigentum zum Staatseigentum
führe. Doch bei ihm ist nicht wie bei Hegel und Lassalle von der Idee und von
dem juristischen Begriffe des Eigentums die Rede. Das Privateigentum „in seiner
nationalökonomischen Bewegung“ treibt zu seiner Auflösung fort, „aber nur durch
eine von ihm unabhängige, bewusstlose, wider seinen Willen stattfindende, durch
die Natur der Sache bedingte Entwicklung, nur indem es das Proletariat als
Proletariat erzeugt, das seines geistigen und physischen Elends bewusste Elend,
die ihrer Entmenschung bewusste und sich selbst aufhebende Entmenschung“. Damit
wird die Lehre vom Klassenkampf als dem treibenden Element der geschichtlichen
Entwicklung eingeführt. Und das erleben wir heute aller Orten, jedenfalls gibt
es immer Anbieter für solche Thesen, vor allem in krisenhaften Situationen –
und das von den Sozialdemokraten bis hin zu den Nationalen und Kommunisten.
Die einfachste Art, in der wir uns die Entwicklung der
Gesellschaft vorzustellen vermögen, ist die Unterscheidung zweier
Entwicklungsrichtungen, die sich zueinander verhalten wie Ausdehnung in die
Tiefe und Ausdehnung in die Breite. Die Vergesellschaftung schreitet in
subjektiver und in objektiver Hinsicht fort: in subjektiver Hinsicht durch die
Erweiterung des Menschenkreises, den sie umfasst, in objektiver Hinsicht durch
Erweiterung der Ziele des Handelns, die sie einbegreift. Ursprünglich auf den
engsten Personenkreis, auf die unmittelbaren Nachbarn begrenzt, wird die
Arbeitsteilung allmählich allgemeiner, um schließlich alle Menschen, die die
Erde bewohnen, zu umfassen. Dieser Prozess, der noch lange nicht abgeschlossen
ist und auch früher in der Geschichte nie abgeschlossen war, ist ein endlicher.
Er wird am Ziele angelangt sein, wenn alle Menschen der Erde ein einheitliches
System gesellschaftlicher Arbeitsteilung bilden werden. Hand in Hand mit diesem
Prozess der Ausbreitung der gesellschaftlichen Bindung geht der ihrer
Vertiefung. Das gesellschaftliche Handeln umfasst immer mehr Ziele; das Gebiet,
auf dem das Individuum selbstgenügsam für sich sorgt, wird immer enger. Es hat
wenig Sinn, sich die Frage vorzulegen, ob auch dieser Prozess schließlich zu
einer vollständigen Aufsaugung des autarken Handelns einzelner und engerer
Kreise durch das gesellschaftlich orientierte Handeln führen kann oder nicht.
Vergesellschaftung ist immer Zusammenschluss zu
gemeinsamem Wirken; Gesellschaft ist immer Frieden, niemals Krieg.
Vernichtungskampf und Krieg sind Entgesellschaftung. Das
verkennen alle jene Theorien, die den gesellschaftlichen Fortschritt als ein
Ergebnis von Kämpfen menschlicher Gruppen auffassen.
Das Schicksal des einzelnen ist durch sein „Sein“
eindeutig bestimmt. Alles was ist, ist aus seinem Werden mit Notwendigkeit
hervorgegangen, und alles, was sein wird, fließt mit Notwendigkeit aus dem, was
ist. Der augenblickliche Zustand ist das Ergebnis der Geschichte. Wer sie
ganz verstehen könnte, würde auch alle Zukunft vorhersagen können. Man hat
lange geglaubt, von der Determiniertheit (ist die Auffassung, dass alle – insbesondere auch
zukünftige – Ereignisse durch Vorbedingungen eindeutig festgelegt sind) alles Geschehens das menschliche Wollen und Handeln
ausnehmen zu müssen, weil man den besonderen Sinn der „Zurechnung“ dieser allem
rationalen Handeln und nur ihm eigentümlichen Denkoperation, nicht erfasst
hatte und gemeint hat, dass kausale Erklärung und Zurechnung unverträglich
wären. Das ist heute überwunden. Nationalökonomie, Rechtsphilosophie und Ethik
haben das Zurechnungsproblem soweit geklärt, dass die alten Missverständnisse
ausgemerzt werden konnten.
Wenn wir die Einheit, die wir das Individuum nennen,
in bestimmte Komplexe zerlegen wollen, um unserer Erkenntnis den Weg zu
erleichtern, dann müssen wir uns darüber klar sein, dass eine Rechtfertigung
unseres Vorgehens nur in dem heuristischen (bezeichnet die Kunst, mit begrenztem Wissen und wenig
Zeit zu guten Lösungen zu kommen) Wert der Einteilung gesucht werden kann. Vor der Strenge
erkenntniskritischer Prüfung kann die Sonderung des im Wesen Gleichartigen nach
äußerlichen Merkmalen nie bestehen. Nur unter diesen Einschränkungen kann man
daran gehen, die Determinanten des individuellen Lebens gruppenweise
zusammenfassen.
Das, was der Mensch mit der Geburt mit auf die Welt
bringt, das Angeborene, nennen wir das Erbgut oder kurz die Art. Das
Angeborene im Menschen ist der Niederschlag der Geschichte aller seiner Ahnen
und ihres Schicksals, alles dessen, was sie erlebt haben. Das Leben und das
Schicksal des Einzelnen beginnen nicht mit der Geburt, sie verlieren sich nach
rückwärts in unendliche und unausdenkbare Fernen. Der Nachkomme erbt von den
Ahnen; das ist eine Tatsache, die außerhalb des Streites steht, der sich um die
Vererbung erworbener Eigenschaften dreht.
Nach der Geburt beginnt das unmittelbare Erleben. Die
Einwirkung der Umwelt, des Milieus, setzt ein; aus ihrer Verbindung mit dem
Ererbten resultiert das Sein des Individuums in jedem Augenblicke des Lebens.
Das Milieu ist natürliches Milieu als Boden, Klima, Nahrung, Fauna, Flora, kurz
als Naturumgebung. Es ist soziales Milieu als Gesellschaft. Die
gesellschaftlichen Kräfte, die auf den Einzelnen einwirken, sind Sprache,
Stellung im Arbeits- und Austauschprozess, Ideologie und die Zwangsmächte:
freie Gewalt und geregelte Gewalt; die geregelte Gewaltorganisation nennen wir
dann Staat.
Die Abhängigkeit des Menschenlebens vom natürlichen
Milieu pflegen wir uns seit Darwin metaphorisch (s. o.) durch die Vorstellung
eines Kampfes gegen feindliche Gewalten verständlich zu machen. Das war
unbedenklich, solange man nicht daran dachte, die bildliche Ausdrucksweise auf
ein Gebiet zu übertragen, auf dem sie ganz und gar unangebracht war und zu
schweren Irrtümern Anlass geben musste. Als man die Formeln des Darwinismus,
die aus der Übernahme von Gedanken, die die Sozialwissenschaft entwickelt
hatte, in der Biologie entstanden waren, wieder in die Sozialwissenschaft
zurückzuführen begann, vergaß man, was sie ursprünglich zu bedeuten hatten. So
entstand jenes Ungeheuer des soziologischen Darwinismus, das, in romantische
Verherrlichung des Krieges und des Menschenmordes einmündend, ganz besonders
dazu beigetragen hat, die geistige Atmosphäre zu schaffen, aus der die
Weltkriege und die sozialen Kämpfe der Gegenwart entstehen konnten.
Das regulierende Prinzip, das innerhalb der
Gesellschaft den Ausgleich trifft zwischen der Beschränktheit der der
Gesellschaft zur Verfügung stehenden Unterhaltsmittel auf der einen Seite und
der weniger beschränkten Vermehrungsfähigkeit der Menschen auf der anderen
Seite, ist das Privateigentum an den Produktionsmitteln. Indem es das Maß des
Anteils am Sozialprodukte, das jedem Menschen zufällt, von dem ihm, d. h.
seiner Arbeit und seinem Besitze ökonomisch zugerechneten Ertrage abhängig
macht, wird die Ausmerzung der Überzähligen durch den Kampf ums Dasein, wie er
im Pflanzen- und im Tierreiche wütet, durch die Beschränkung der
Nachkommenschaft aus gesellschaftlichen Rücksichten ersetzt. An Stelle des
Kampfes ums Dasein tritt die moralische Zurückhaltung, die durch die gesellschaftliche Stellung auferlegte
Beschränkung der Zahl der Nachkommen.
In der Gesellschaft gibt es keinen Kampf ums Dasein.
In der Berufung auf Darwins Hypothese, die man lange als eine unumstößliche
Tatsache der Wissenschaft angesehen hat, glaubten Marxismus, Rassenkampftheorie und
Nationalismus ihren Lehren eine nicht zu erschütternde Grundlage zu geben. Der
moderne Imperialismus stützt sich ganz besonders auf die Schlagwörter, in die
die Vulgärwissenschaft den Darwinismus umgeprägt hat.
Die darwinistischen - oder richtiger
pseudo-darwinistischen - Sozialtheorien verkennen die Hauptschwierigkeit, die
der Übertragung der Darwinschen Redewendung vom Kampfe ums Dasein auf die
gesellschaftlichen Verhältnisse entgegensteht. Der Kampf ums Dasein tobt in der
Natur zwischen Individuen. Nur ausnahmsweise finden wir in der Natur
Erscheinungen, die man als Kämpfe zwischen Tiergruppen zu deuten in der Lage
wäre; hierher gehören die Kämpfe zwischen „Ameisenstaaten“, die man
möglicherweise noch ganz anders auffassen müssen wird als heute. Eine
vom Darwinismus ausgehende Sozialtheorie müsste entweder dazu gelangen, den
Kampf aller Individuen gegen alle als die natürliche und notwendige Form des
Verkehrs zwischen den Menschen zu erklären, und damit die Möglichkeit jeder
gesellschaftlichen Verknüpfung leugnen, oder sie müsste imstande sein,
einerseits aufzuzeigen, warum innerhalb bestimmter Gruppen Friede herrschen
kann und muss, andererseits aber zu beweisen, dass das Prinzip der friedlichen
Vereinigung, das zur Bildung dieser Verbände führt, in seiner Wirksamkeit nicht
über den Umkreis der Gruppenmitglieder hinausreicht, so dass zwischen den
Gruppen selbst Kampf herrschen müsse. Wenn man ein Prinzip erkennt, das alle
Deutschen, alle Dolichokephalen (Langschädel) oder alle Proletarier zum Zusammenschluss treibt und aus den Individuen
die besondere Nation, Rasse oder Klasse bildet, ist es nicht möglich, zu
zeigen, dass dieses Prinzip nur innerhalb der Kollektivgruppen wirksam ist. Diese
Gesellschaftstheorien gleiten über dieses Problem in der Weise hinweg, dass sie
sich darauf beschränken, die Solidarität der Interessen innerhalb der Gruppen
wie selbstverständlich ohne jede weitere Erörterung als bewiesen anzunehmen und
sich allein damit befassen, die Gegensätzlichkeit der Interessen zwischen den
Gruppen und die Notwendigkeit des Kampfes als des alleinigen Triebmittels der
geschichtlichen Entwicklung zu beweisen. Doch wenn der Krieg oder der Kampf schlechthin
der Vater aller Dinge sein soll, wenn er den geschichtlichen Fortschritt
herbeiführt, dann ist nicht zu verstehen, warum die Wirksamkeit dieses
wohltätigen Prinzips durch Frieden innerhalb der Staaten, Völker, Rassen und
Klassen beschränkt sein muss. Wenn die Natur den Krieg fordert, warum fordert
sie nicht den Krieg aller gegen alle, bloß den aller Gruppen gegen alle
Gruppen? Die einzige Theorie, die erklärt, wie zwischen den Individuen Frieden
möglich ist und aus den Individuen Gesellschaft wird, ist die Sozialtheorie der Arbeitsteilung. Hat man
diese Theorie aber einmal angenommen, dann ist es nicht mehr möglich, die
Feindschaft der Kollektivgebilde als notwendig anzusehen. Wenn Brandenburger
und Hannoveraner friedlich in der Gesellschaft nebeneinander leben, warum
können es nicht auch Deutsche und Griechen?
Der soziologische Darwinismus ist überhaupt nicht
imstande, das Phänomen der Vergesellschaftung zu erklären; er ist keine
Gesellschaftstheorie sondern „eine Theorie der Ungeselligkeit“.
Es ist eine beschämende Tatsache, die uns den Verfall
der Soziologie in den letzten Jahrzehnten erst recht deutlich ins Bewusstsein
rückt, dass man den soziologischen Darwinismus nun damit zu bekämpfen beginnt,
dass man auf die von der Biologie im Pflanzen- und Tierreiche erst spät
entdeckten Beispiele von gegenseitiger Hilfe, von Symbiose (bezeichnet in Europa die
Vergesellschaftung von Individuen unterschiedlicher Arten, die für beide Partner vorteilhaft ist), hinweist. Ein trutziger Verneiner der Gesellschaftslehre, der das, was er ablehnte
und bekämpfte, nie kennengelernt hatte, Kropotkin, fand unter Tieren Ansätze
von gesellschaftlichen Verknüpfungen und stellte sie dem Kampfe gegenüber, das
wohltätige Prinzip der wechselseitigen Unterstützung dem schädlichen des
Kampfes bis aufs Messer entgegensetzend. Ein ganz in den Ideen des
marxistischen Sozialismus befangener Biologe, Kammerer, zeigte, dass in der
Natur außer dem Kampfprinzip das der Hilfe im Leben obwalte. Die
Biologie kehrt mit dieser Erkenntnis dorthin zurück, wo sie, von der Soziologie
ausgehend, begonnen hatte; sie bringt der Gesellschaftslehre das Prinzip der
Arbeitsteilung wieder zurück, das sie von ihr empfangen hatte. Sie lehrt die
Soziologie nichts Neues, nichts, was nicht schon dem Wesen nach in der
Arbeitsteilungstheorie der vielgeschmähten klassischen Nationalökonomie
enthalten gewesen wäre.
Die naturrechtlichen Gesellschaftstheorien gehen von
dem Dogma der Gleichheit alles dessen, was Menschengesicht trägt, aus. Weil
alle Menschen gleich seien, hätten sie einen natürlichen Anspruch darauf von
der Gesellschaft als vollberechtigte Mitglieder behandelt zu werden; und weil
jedermann ein natürliches Recht auf Existenz habe, wäre es ein Unrecht, seinem
Leben nachzustellen. So erscheinen die Postulate der Allgemeinheit der
Gesellschaft, der Gleichheit in ihr und des Friedens begründet. Unsere hier
aufgezeigte Theorie leitet sie dagegen aus der Utilität (Nützlichkeit) ab. Für sie decken sich die Begriffe
Gesellschaftsmensch und Mensch. Wer fähig ist, den Vorteil des Friedens und der
gesellschaftlichen Arbeitsvereinigung einzusehen, ist als Glied der
Gesellschaft willkommen. Der eigene Vorteil eines jeden Mitgliedes empfiehlt
es, ihn als gleichberechtigten Bürger zu behandeln. Nur der, der ohne jegliche
Rücksicht auf die Vorteile, die das friedliche Zusammenwirken bietet, den
Vernichtungskampf der Arbeitsvereinigung vorzieht und sich nicht in die
gesellschaftliche Ordnung einfügen will, muss bekämpft werden. Das ist die
Stellung, die man dem asozialen Verbrecher gegenüber notgedrungen einnehmen
muss. Krieg kann vom nur als Abwehr und Verteidigung gebilligt werden.
Der Weg, auf dem die asozialen Gesellschaftstheorien
den Versuch machten, das Friedensprinzip in Verruf zu bringen, war die
Verwischung des grundsätzlichen Unterschiedes, der zwischen Kampf und
Wettbewerb besteht. Kampf im ursprünglichen Sinne des Wortes ist das auf
Vernichtung des Lebens des Gegners abzielende Ringen von Menschen und Tieren.
Das gesellschaftliche Leben des Menschen beginnt mit der Überwindung der
Instinkte und Erwägungen, die zum Vernichtungskampf treiben. Die Geschichte
zeigt uns ein stetiges Zurückweichen des Kampfes als einer Form menschlicher
Beziehungen; die Kämpfe werden seltener und verlieren gleichzeitig auch an
Schärfe. Der überwundene Gegner wird nicht mehr vernichtet, ist es irgendwie
angängig, ihn in die Gesellschaft aufzunehmen, so schont man sein Leben. Der
Kampf selbst wird durch die Regeln, an die er gebunden wird, einigermaßen
gemildert. Doch Krieg und Revolution bleiben trotz alledem Vernichtung und
Zerstörung.
Es ist nichts als eine Metapher, wenn man den
Wettbewerb Wettkampf oder Kampf schlechthin nennt. Die Funktion des Kampfes ist
Vernichtung, die des Wettbewerbes Aufbau. Der Wettbewerb im Wirtschaftsverkehr
sorgt dafür, dass die Produktion in rationellster Weise betrieben werde. Hier
wie überall sonst wirkt er als Auslese des Besten. Er ist ein Grundprinzip des
gesellschaftlichen Zusammenwirkens, das unter keinen Umständen ausgeschaltet
werden kann. Auch ein sozialistisches Gemeinwesen könnte ohne Wettbewerb nicht
bestehen. Es müsste versuchen, ihn in irgendeiner Weise, etwa durch Prüfungen,
einzuführen; die Wirksamkeit einer sozialistischen Lebensordnung wird davon
abhängen, ob es ihr möglich sein wird, den Wettbewerb genügend rücksichtslos
und scharf zu machen, damit er seine Auslesefunktion erfülle. Das das bisher
nicht gelungen ist, bedarf an dieser Stelle keiner weiteren Erläuterung.
Drei Vergleichspunkte sind es, an die der bildhafte
Gebrauch des Wortes Kampf für Wettbewerb anknüpft. Sowohl zwischen den Gegnern
im Kampfe als auch zwischen den Konkurrenten im Wettkampfe besteht
Feindseligkeit und Gegensätzlichkeit der Interessen. Der Hass, den ein Krämer
seinem unmittelbaren Konkurrenten nachträgt, mag oft nicht geringer sein als
der, den ein Montenegriner gegen den Muslim empfunden hat. Doch die Affekte,
mit denen die Menschen ihr Handeln begleiten, sind für die gesellschaftliche
Funktion des Handelns ohne Bedeutung. Was der einzelne empfindet, ist
gleichgültig, solange sein Handeln sich innerhalb der von der
Gesellschaftsordnung gesteckten Grenzen bewegt.
Den zweiten Vergleichspunkt erblickt man in der
Auslesewirkung von Kampf und Wettkampf. Wieweit der Kampf als Auslese der
Besten wirkt, soll dahingestellt bleiben; es wird noch zu zeigen sein, dass
viele den Kriegen und Revolutionen antiselektorische (der Auslese und Höherentwicklung
feindlich) Wirkung zuschreiben. Keinesfalls
aber geht es an, darüber, dass Kampf und Wettkampf Auslesefunktion erfüllen,
die Wesensverschiedenheit, die zwischen ihnen besteht, zu übersehen.
Den dritten Vergleichspunkt sucht man in den Folgen,
die die Niederlage für den Überwundenen nach sich zieht. Der Überwundene werde
vernichtet, sagt man, und bedenkt nicht, dass in dem einen Fall von Vernichtung
nur bildlich gesprochen werden kann. Wer im Kampf unterliegt, wird getötet;
auch im modernen Kriege, in dem man die Besiegten schont, fließt Blut. Im
Konkurrenzkampf werden, heißt es, wirtschaftliche Existenzen vernichtet. Doch
das bedeutet nichts anderes, als dass die Unterliegenden genötigt werden, sich
eine andere Stellung in dem Gefüge der gesellschaftlichen Arbeitsteilung
auszusuchen als die, die sie gerne einnehmen wollten. Es bedeutet aber durchaus
nicht, dass sie etwa dem Hungertod preisgegeben werden. In der kapitalistischen
Gesellschaft ist für alle Raum und Brot. Ihre Ausdehnungsfähigkeit ermöglicht
jedem Arbeiter ein Unterkommen; im statischen Zustand kennt sie keine
Arbeitslosen.
Der Kampf im eigentlichen und ursprünglichen Sinne des
Wortes ist asozial; er macht zwischen den Kämpfenden Arbeitsgemeinschaften, das
Grundelement der gesellschaftlichen Vereinigung, unmöglich; er zerstört die
Arbeitsgemeinschaft, wo sie schon besteht. Der Wettbewerb ist ein Element des
gesellschaftlichen Zusammenwirkens. Er ist das ordnende Prinzip im
gesellschaftlichen Verbande. Kampf und Wettkampf sind gesellschaftsdynamisch
die schärfsten Gegensätze.
Mit dieser Erkenntnis erlangt man die Grundlage zur
Beurteilung aller jener Theorien, die das Wesen der gesellschaftlichen
Entwicklung im Kampfe widerstreitender Gruppen erblicken. Klassenkampf,
Rassenkampf, Nationalitätenkampf können nicht das aufbauende Prinzip sein; aus
Zerstörung und Vernichtung wird niemals ein Bau entstehen.
Das wichtigste Mittel der gesellschaftlichen
Kooperation ist die Sprache. Die Sprache schlägt die Brücke über die Kluft, die
die Individuen trennt; nur vermittels der Sprache kann der Mensch das, was ihn
bewegt, dem anderen wenigstens einigermaßen mitteilen. Was die Sprache für das
Denken und Wollen noch sonst zu bedeuten hat, wie sie das Denken und Wollen
bedingt und ohne sie kein Denken, nur Instinkt, und kein Wollen, nur Trieb,
bestehen kann, ist heute nicht zu erörtern. Auch das Denken ist eine
gesellschaftliche Erscheinung, nicht das Erzeugnis des isolierten Geistes,
sondern ein Kind wechselseitiger Anregung und Befruchtung der gleichen Zielen
mit vereinten Kräften zustrebenden Menschen. Auch die Arbeit des einsamen
Denkers, der in Zurückgezogenheit über Probleme brütet, um die sich nur wenige
Menschen Sorge machen, ist Gespräch, ist Wechselrede mit dem Gedankengut, das
als das Erzeugnis der Geistesarbeit zahlloser Geschlechter in der Sprache, in
den Begriffen des Alltags und in der schriftlichen Überlieferung niedergelegt
ist. Das Denken ist an die Sprache gebunden. Auf den Sprachelementen baut sich
das Begriffsgebäude des Denkers auf.
Der menschliche Geist lebt nur in der Sprache; im Wort
erst ringt er sich von dem Dunkel der Unklarheit und der Verschwommenheit des
Instinkts zu der Klarheit durch, die ihm überhaupt erreichbar ist. Das Denken
und das Gedachte sind von der Sprache, der sie ihre Entstehung verdanken, nicht
mehr loszulösen. Es mag sein, dass wir einmal eine Weltsprache erhalten werden.
Das wird gewiss nicht auf dem Wege geschehen, den die Erfinder des Volapük (ist eine gemischte Aposteriori-Plansprache), des Esperanto (ist die am
weitesten verbreitete internationale Plansprache) und anderer ähnlicher Erzeugnisse einzuschlagen versucht haben. Die
Schwierigkeiten, die der Weltsprache und der Völkerverständigung
entgegenstehen, können nicht dadurch überwunden werden, dass man für die
Bezeichnungen des täglichen Lebens und für das, was jene auszudrücken wünschen,
die sprechen, ohne viel zu denken, identische Silbenverbindungen ausheckt. Das
Unübersetzbare, das den Begriffen anhaftet und in den Worten mitschwingt,
trennt die Sprachen, nicht nur die Verschiedenheiten des Klanges der Wörter,
die sich restlos übertragen lassen. Wenn man überall auf Erden für „Kellner“
und für „Haustor“ dieselbe Bezeichnung verwenden würde, so würde dies noch
lange nicht die Aufhebung der Trennung der Sprachen und Nationen bedeuten. Doch
wenn es einst dazu kommen sollte, dass alles in einer Sprache Ausgedrückte
restlos in andere Zungen übertragen werden könnte, dann wäre die Spracheinheit
auch ohne den Gleichklang der Silben erreicht. Dann würden die verschiedenen
Sprachen nur noch verschiedene Zungen sein; dann würde der Flug des Gedankens
von Volk zu Volk nicht länger gehemmt werden durch die Unübersetzbarkeit des
Wortes.
Solange dieser Zustand nicht erreicht ist, - und es
ist nicht unmöglich, dass er nie erreicht werden wird - ergeben sich aus dem
Nebeneinanderleben von Angehörigen verschiedener Völker in den
gemischtsprachigen Gebieten politische Reibungen, die zur Entstehung von
scharfen politischen Gegensätzen führen können. Aus diesen Streitigkeiten ist -
mittelbar und unmittelbar - der moderne Völkerhass entsprungen, auf dem der
moderne Imperialismus fußt.
Die imperialistische Theorie macht sich ihre Aufgabe
sehr leicht, wenn sie sich darauf beschränkt, den Nachweis zu erbringen, dass
zwischen den Nationen Gegensätze bestehen. Um die Richtigkeit ihrer
Ausführungen zu beweisen, hätte sie auch dartun müssen, dass innerhalb der
Nationen Interessensolidarität besteht. Die nationalistisch-imperialistische
Lehre ist als Reaktion gegen den ökumenischen Solidarismus der
Freihandelsdoktrin aufgetreten. Die Geistesverfassung, in der sie die Menschen
vorfand, war die kosmopolitische Idee des Weltbürgertums und der
Völkerverbrüderung. So dachte sie, dass es genügen könnte, den Nachweis zu
führen, dass zwischen den einzelnen Nationen Gegensätze der Interessen
bestehen, und übersah ganz, dass alle jene Argumente, mit denen sie die
Unverträglichkeit der nationalen Interessen dartun will, auch mit derselben
Berechtigung die Unverträglichkeit der regionalen und schließlich auch der
persönlichen Interessen der einzelnen beweisen könnten. Wenn es dem Deutschen
schädlich sein soll, englisches Tuch und russisches Getreide zu konsumieren, so
muss wohl auch dem Berliner der Genuss von bayrischem Bier und Pfälzer Wein
Schaden bringen. Wenn es nicht gut tut, die Arbeitsteilung über die Grenzen des
Staates oder des Volksgebietes hinausgreifen zu lassen, dann wird es wohl
überhaupt am Ende das Richtigste sein, zur Selbstgenügsamkeit der geschlossenen
Hauswirtschaft zurückzukehren. Das Schlagwort: fort mit den fremden Waren!
führt, genau genommen, schließlich zur Aufhebung aller Arbeitsteilung. Denn das
Prinzip, das die internationale Arbeitsteilung als vorteilhaft erscheinen
lässt, ist kein anderes als das, das die Arbeitsteilung überhaupt empfiehlt.
Es ist kein Zufall, dass heutzutage gerade das
deutsche Volk unter allen Völkern am wenigsten Sinn für nationalen Zusammenhalt
hat, und dass es unter allen Völkern Europas am spätesten Verständnis für die
politische Einigung zu einem alle Mitglieder umfassenden Staatswesen gezeigt
hat. Die Idee der nationalen Einigung ist ein Kind des Freihandels und des
laissez faire (einfach laufen
lassen). Die Deutschen, die sich, gerade aus dem
Umstande heraus, dass sie infolge ihrer Siedlungsverhältnisse am frühesten die
Nachteile der nationalen Vergewaltigung in den gemischtsprachigen Gebieten
kennen gelernt haben, hatten nicht die geistigen Mittel zur Hand, um den
Regionalismus und die Sonderbestrebungen einzelner Gruppen zu überwinden. Und
es ist wiederum kein Zufall, dass das Gefühl der nationalen Zusammengehörigkeit
bei keinem zweiten Volke stärker entwickelt ist als bei den Angelsachsen.
Es ist ein verhängnisvoller Irrwahn der Imperialisten,
wenn sie glauben, durch die Abweisung des Kosmopolitismus den Zusammenhalt des
Volkes zu kräftigen. Sie übersehen, dass das asoziale Grundelement ihrer Lehre,
folgerichtig angewendet, zur Zerreißung jeder gesellschaftlichen Gemeinschaft
führen muss.
Man kann das allen Anforderungen, die an das
wissenschaftliche Denken gestellt werden müssen, hohnsprechende Vorgehen jener
Rassentheoretiker (z. B.: Sarazin), die leichten Herzens ohne jedes kritische
Bedenken Rassen unterscheiden und Rassenmerkmale aufstellen, nicht genug scharf
verurteilen. Es ist nicht zu bestreiten, dass es ihnen dabei mehr um die
Schaffung von Schlagwörtern für den politischen Kampf als um die Förderung der
Erkenntnis zu tun ist. Doch die Kritiker des rassentheoretischen Dilettantismus
machen sich ihre Sache zu leicht, wenn sie ihr Augenmerk lediglich auf die
konkrete Gestalt, die die einzelnen Schriftsteller der Lehre geben, und auf den
Inhalt ihrer Aussagen über die einzelnen Rassen, ihre leiblichen Merkmale und
ihre seelischen Eigenschaften richten. Auch wenn man die willkürlichen, jeder
Begründung entbehrenden und widerspruchsvollen Hypothesen als leere Hirngespinste zurückgewiesen hat,
bleibt doch ein Kern der Rassentheorie bestehen, der von der konkreten
Unterscheidung edler und unedler Rassen unabhängig ist.
Die Ergebnisse der „wissenschaftlichen“
Rassenforschung sind keineswegs imstande, die Theorie der gesellschaftlichen
Entwicklung irgendwie zu widerlegen; sie bestätigen sie eher. Die
Rassentheorien Sarazins und vieler anderer sind aus dem Groll einer unterlegenen
Militär- und Adelskaste gegen bürgerliche Demokratie und kapitalistische
Wirtschaftsführung entstanden. Sie haben für den Gebrauch der modernen
imperialistischen Tagespolitik eine Fassung angenommen, die sie als eine
Wiedergeburt der alten Gewalt- und Kriegstheorien erscheinen lassen. Doch sie
sind nur gegen die naturrechtlichen Schlagwörter verwendbar; der Wirtschafts-
und Gesellschaftstheorie können sie nichts entgegenhalten. Auch die
Rassentheorie vermag den Satz, dass alle Kultur das Werk der friedlichen
Kooperation der Menschen ist, nicht zu erschüttern.
In der gesellschaftlichen Arbeitsgemeinschaft nimmt
der Einzelne jeweils eine bestimmte Stellung ein, durch die sein Verhältnis zu
allen übrigen Gliedern der Gesellschaft gegeben ist. Die Beziehung, die ihn mit
den anderen Mitgliedern der Gesellschaft verbindet, ist die Tauschbeziehung.
Als Gebender und Empfangender, als Verkäufer und Käufer gehört er der
Gesellschaft an. Dabei muss seine Stellung durchaus nicht immer eindeutig sein.
Es kann einer zugleich Grundbesitzer, Lohnarbeiter und Kapitalbesitzer sein,
ein anderer zugleich Unternehmer, Angestellter und Grundbesitzer, ein dritter
zugleich Unternehmer, Banker und Grundbesitzer usf. Es kann einer zugleich Käse
und Körbe erzeugen und sich daneben gelegentlich als Tagelöhner verdingen usf.
Aber auch die Lage jener, die sich in annähernd gleicher Stellung befinden,
unterscheidet sich nach den besonderen Verhältnissen, in denen sie auf dem
Markte auftreten. Auch als Käufer für den Eigenverbrauch ist jeder je nach
seinen besonderen Bedürfnissen in anderer Stellung. Auf dem Markte gibt es
immer nur einzelne Individuen; der Marktverkehr der freien
Wirtschaftsverfassung wirkt atomisierend, wie man - meist in tadelndem und
bedauerndem Sinn - zu sagen pflegt. Selbst Marx musste ausdrücklich erklären:
„Da Käufe und Verkäufe nur zwischen einzelnen Individuen abgeschlossen werden,
so ist es unzulässig, Beziehungen zwischen ganzen Gesellschaftsklassen darin zu
suchen“.
Fasst man die Gesamtheit jener, die sich in annähernd
gleicher gesellschaftlicher Lage befinden, unter der Bezeichnung
Gesellschaftsklasse zusammen, dann muss man dessen eingedenk bleiben, dass
damit noch nichts für die Klärung der Frage, ob den Klassen eine besondere
Bedeutung im gesellschaftlichen Leben zukommt, getan ist. Schematisieren und
Klassifizieren an sich haben noch keinen Erkenntniswert. Erst die Funktion, die
die Begriffe in den Theorien, in die sie eingefügt werden, zu erfüllen haben,
verleiht ihnen eine Bedeutung für die Wissenschaft; isoliert und außerhalb des
Zusammenhangs mit derartigen Theorien sind sie nichts als unfruchtbares
Gedankenspiel. Daher ist es noch lange kein Beweis für die Brauchbarkeit der
Klassentheorie, wenn man darauf hinweist, die Tatsache, dass die Menschen sich
in verschiedener gesellschaftlicher Lage befinden, sei evident, man könne
mithin den Bestand von Gesellschaftsklassen nicht bestreiten. Nicht auf die
Tatsache der Verschiedenheit der gesellschaftlichen Stellung der einzelnen
kommt es an, sondern darauf, welche Bedeutung diese Tatsache für das
gesellschaftliche Zusammenleben hat.
Dass der Gegensatz von arm und reich wie überhaupt
wirtschaftliche Gegensätze jeglicher Art in der Politik eine große Rolle
spielen, war seit alters her allgemein bekannt. Nicht minder bekannt war die
Bedeutung, die der Stände- und Kastenunterschiede, d. h. die Verschiedenheit
der Rechtsstellung, die Ungleichheit vor dem Gesetz, in der Geschichte gespielt
hat. Auch die klassische Nationalökonomie hat dies nicht bestritten. Sie hat
aber unternommen, zu zeigen, dass alle diese Gegensätze nur aus verkehrten
politischen Einrichtungen entspringen. Zwischen den richtig verstandenen
Interessen der Einzelnen bestehe keine Unverträglichkeit. Die vermeintlichen
Interessengegensätze, die früher eine große Rolle gespielt haben, seien auf die
Unkenntnis der Naturgesetze des gesellschaftlichen Lebens zurückzuführen. Nun,
da man die Identität aller richtig verstandenen Interessen erkannt habe, werde
man sich im politischen Kampf der alten Argumente nicht mehr bedienen können.
Doch die klassische Nationalökonomie, die auf der
einen Seite die Lehre von der Solidarität der Interessen verkündet, legt in
ihrem System selbst den Grundstein zu einer neuen Theorie des
Klassengegensatzes. Die Merkantilisten (Die sog. Klassiker unter den Nationalökonomen haben
sich noch die wirtschaftlichen Abläufe ausschließlich als Akte menschlicher
Individuen vorgestellt, die unter sich freie Verträge schlossen, um in diesem
Sinne einer Welt gegenüberzutreten, die durch ausschließlich objektive
Bedingungen bestimmt war.) hatten in den Mittelpunkt der Sozialökonomik - als Lehre vom objektiven
Reichtum betrachtet - die Güter gestellt. Die große Tat der Klassiker ist es,
neben die Güter den wirtschaftenden Menschen zu stellen, womit sie der modernen
Nationalökonomie, die im Mittelpunkt ihres Systems den Menschen und seine
subjektive Wertschätzung allein stehen lässt, den Weg bereiten. Das System, in
dem Mensch und Gut nebeneinander stehen, zerfällt aber schon äußerlich in zwei
Teile, in den, der die Bildung, und in den, der die Verteilung des Reichtums
behandelt. Je mehr die Nationalökonomie zur strengen Wissenschaft, zu einem
System der Katallaktik (freie
menschliche Marktinteraktion als treibende Kraft zur Findung von komplexen
ökonomischen Problemstellungen) wird, desto mehr tritt diese Auffassung von ihrem Wesen zurück, doch der
Begriff der Verteilung bleibt vorerst noch stehen. Mit ihm verknüpft sich dann
unwillkürlich die Vorstellung einer Trennung des Produktions- und des
Verteilungsprozesses. Die Güter werden zunächst gesellschaftlich erzeugt und
dann aufgeteilt. Die Vorstellung, dass Produktion und „Verteilung“
unzertrennlich miteinander verknüpft sind, mag noch so klar sein, das
unglückselige Wort „Verteilung“ drängt sie doch immer wieder mehr oder weniger
zurück.
Sobald man aber einmal die Vorstellung einer
Verteilung gefasst hat und das nationalökonomische Zurechnungsproblem als
Verteilungsproblem ansieht, sind Missverständnisse kaum noch zu vermeiden. Denn
die Zurechnungslehre oder, um einen Ausdruck zu gebrauchen, der der Fassung
dieses Problems durch die Klassiker besser entspricht, die Einkommenslehre muss
zwischen den verschiedenen Kategorien der Produktionsfaktoren unterscheiden,
mag auch für alle das gleiche Grundprinzip der Wertbildung zur Anwendung
gebracht werden. Für sie ist eine Trennung der „Arbeit“ vom „Kapital“ und vom
„Boden“ gegeben. Und nichts liegt dann näher als eine Vorstellung, die
Arbeiter, Kapitalisten und Bodenbesitzer als getrennte Klassen ansieht, wie
dies zuerst von Ricardo in der Vorrede zu seinen Principles geschieht.
Gefördert wird diese Auffassung durch den Umstand, dass die Klassiker den
„Profit“ nicht in seine Bestandteile spalten, so dass das Bild, das die
Gesellschaft in drei große Klassen zerlegt sieht, nicht gestört wird.
Ricardo geht aber noch weiter. Indem er aufzeigt, wie
auf verschiedenen Stufen der gesellschaftlichen Entwicklung - „in different
stages of society“ (in verschiedenen Stufen der Gesellschaft) - die
verhältnismäßigen Anteile an dem Gesamtprodukt, die jeder der drei Klassen
zufallen, verschieden sind, dehnt er den Klassengegensatz auch auf die Dynamik
aus. Darin folgen ihm die späteren nach. Und hier ist es, wo Marx mit seiner
ökonomischen Theorie, die im „Kapital“ vorgetragen wird, anknüpft. In seinen
älteren Schriften, vor allem in den einleitenden Worten des Kommunistischen
Manifests, fasst er die Begriffe Klasse und Klassengegensatz noch in dem alten
Sinn eines Gegensatzes der rechtlichen Stellung und der Vermögensgröße auf. Die
Verbindung zwischen beiden Vorstellungen wird durch die Auffassung des modernen
Arbeitsverhältnisses als einer Herrschaft der Besitzer über die Arbeiter
hergestellt. Marx hat es unterlassen, den Begriff der Klasse, der für seine
Lehre von grundlegender Bedeutung ist, genau zu umschreiben. Er sagt nicht, was
Klasse ist, sondern beschränkt sich darauf, zu sagen, in welche „große Klassen“
die moderne, auf der kapitalistischen Produktionsweise beruhende Gesellschaft
zerfällt. Dabei
folgt er genau der Einteilung Ricardos, ohne sich weiter darum zu kümmern, dass
für Ricardo die Unterscheidung der Klassen lediglich in der Katallaktik (s. o.)
Bedeutung hat.
Der Erfolg, den die marxistische Theorie der Klassen
und des Klassenkampfes errungen hat, war ungeheuer groß. Heute sind die
Unterscheidung von Klassen innerhalb der Gesellschaft und der Bestand von
unüberbrückbaren Klassengegensätzen fast allgemein anerkannt. Auch die, die den
Frieden zwischen den Klassen wünschen und anstreben, bestreiten in der Regel
nicht, dass es Klassengegensätze gebe und dass zwischen den Klassen Kämpfe
geführt werden. Doch der Begriff der Klasse blieb nach wie vor unklar. Wie bei
Marx selbst, so schillert er auch bei allen jenen, die ihm nachfolgten, in
allen Farben.
Baut man ihn, was dem System des „Kapital“ entspricht,
aus den Produktionsfaktoren des klassischen Systems auf, dann macht man eine
Gliederung, die allein für die Zwecke der Katallaktik (s. o.) ersonnen war und
nur in ihr Berechtigung hat, zur Grundlage allgemein soziologischer Erkenntnis.
Man übersieht, dass die Zusammenfassung der Produktionsfaktoren in zwei, drei
oder vier große Gruppen lediglich eine Frage des nationalökonomischen Systems
ist, und dass sie allein in diesem System Geltung haben kann. Dass man gewisse
Gruppen von Zurechnungspunkten für die Betrachtung zusammenfasst, hat seinen
Grund nicht etwa darin, dass zwischen ihnen untereinander eine engere
Verwandtschaft bestünde. Der Grund der Zusammenfassung auf der einen und der
Sonderung und Gegenüberstellung auf der anderen Seite liegt allein in dem Zweck
des Systems, dem sie dienen. Die Sonderstellung des Bodens ist durch die
klassische Lehre von der Grundrente gegeben. Boden ist im Sinne des Systems
dasjenige Gut, das unter gewissen Voraussetzungen Rente abzuwerfen vermag.
Ebenso ist die Stellung des Kapitals als der Quelle des Profits und der Arbeit
als der Quelle des Lohns durch die Besonderheit des klassischen Systems
gegeben. Für die spätere Auffassung des Verteilungsproblems, die den „Profit“ der
klassischen Schule in Unternehmergewinn und Kapitalzins zerlegt, war die
Gruppierung der Produktionsfaktoren schon eine ganz andere. Für das
Zurechnungsproblem der modernen Nationalökonomie hat die Gruppierung der
Produktionsfaktoren nach dem Schema der klassischen Theorie ihre alte Bedeutung
verloren. Das, was früher Verteilungsproblem hieß, erscheint nun als Problem
der Bildung der Preise der Güter höherer Ordnung. Dass man dabei die alte
Einteilung weiterschleppte, hatte nur in dem zähen Konservatismus des
wissenschaftlichen Klassifizierens seinen Grund. Eine dem Wesen des
Zurechnungsproblems entsprechende Gruppierung müsste von ganz anderen
Gesichtspunkten ausgehen, etwa von der Sonderung der statischen und der
dynamischen Einkommenszweige.
In keinem nationalökonomischen System ist das
Gemeinsame, das bestimmte Gruppen von Produktionsfaktoren als Einheit
erscheinen lässt, in deren natürlichen Eigenschaften oder in einer
Leistungsverwandtschaft gegeben. Hier setzt das schwerste Missverständnis der
Klassentheorie ein. Sie geht naiver weise von der Annahme einer inneren, durch
die natürlichen Bedingungen des Wirtschaftens gegebenen Zusammengehörigkeit
zwischen den von ihr zu einer Gruppe zusammengefassten Produktionsfaktoren aus.
Zu diesem Behufe konstruiert sie sich einen Einheitsboden, der zumindest für
alle Arten landwirtschaftlicher Produktion verwendbar ist, und eine
Einheitsarbeit, die alles leisten kann. Es ist schon eine Konzession, der
Versuch einer Annäherung an die Wirklichkeit, wenn sie landwirtschaftlich
verwendbaren Grund und Boden, durch Bergbau zu nutzenden und städtischen Boden
unterscheidet und einen Unterschied zwischen qualifizierter und
unqualifizierter Arbeit macht. Doch diese Einräumung macht die Sache nicht
besser. Auch die qualifizierte Arbeit ist ebenso eine Abstraktion wie die
Arbeit schlechthin, und der landwirtschaftliche Boden ist es nicht anders als
der Boden schlechthin; und was für uns hier das ausschlaggebende ist, es sind
Abstraktionen, die gerade von jenen Merkmalen absehen, die für soziologische
Betrachtung entscheidend sind. Wenn es sich um die Besonderheit der
Preisbildung handelt, dann mag unter Umständen die Gegenüberstellung der drei
Gruppen Boden, Kapital und Arbeit gestattet sein. Aber damit ist durchaus noch
nicht bewiesen, dass sie es auch dann ist, wenn es sich um ganz andere Probleme
handelt.
Die Theorie des Klassenkampfes vermengt immer wieder
die Begriffe Stand und Klasse. Stände sind Rechtseinrichtungen, nicht Tatsachen
der Wirtschaftsordnung. Man wird in den Stand hineingeboren, und man verbleibt
in der Regel in ihm, bis man stirbt. Sein Leben lang trägt man die
Standeszugehörigkeit, die Eigenschaft, Mitglied eines bestimmten Standes zu
sein, mit sich herum. Man ist Herr oder Knecht, Freier oder Sklave, Grundherr
oder Grundholde, Patrizier oder Plebejer nicht weil man eine bestimmte Stellung
im Wirtschaftsleben einnimmt; man nimmt eine bestimmte Stellung im
Wirtschaftsleben ein, weil man einem bestimmten Stande angehört. Wohl ist auch
die Einrichtung der Stände in dem Sinne von Anfang an eine wirtschaftliche, als
sie wie jede Sozialordnung dem Bedürfnis entsprangen ist, die gesellschaftliche
Kooperation sicherzustellen. Doch die Gesellschaftstheorie, die ihr
zugrundeliegt, ist von unserer Theorie grundsätzlich verschieden. Ihr ist
menschliche Kooperation nur denkbar als Nehmen der einen und Geben der anderen.
Dass sie ein wechselseitiges Geben und Nehmen sein könne, bei dem jeder Teil
gewinnt, ist ihr völlig unfassbar. Einer späteren Zeit, die schon für das Ständewesen,
das dem langsam aufdämmernden Gedanken als asozial und, weil auf einseitiger
Belastung des Niederen beruhend, als „ungerecht“ zu erscheinen anfing, nach
einer Rechtfertigung suchte, entstammt die künstliche Konstruktion einer
Wechselseitigkeit auch in diesem Verhältnis; der Höhere gewähre dem Niederen
Schutz, Unterhalt, Bodennutzung und dgl. mehr. In dieser Lehre tritt jedoch
schon der Verfall der Ständeideologie zutage. Der Blütezeit der Institution
waren diese Gedanken fremd. Sie sah die Dinge ungeschminkt als ein
Gewaltverhältnis an, wie es in der Urform alles Standesunterschiedes, im
Verhältnis von Freien und Unfreien, klar zutage tritt. Dass der Sklave selbst
die Einrichtung der Unfreiheit als eine natürliche ansieht und dass er sich
unter den gegebenen Umständen mit seinem Lose abfindet, statt Auflehnung und
Fluchtversuche so lange fortzusetzen, als er noch atmen kann, ist nicht etwa
dadurch zu erklären, dass er findet, die Sklaverei sei eine dem Herrn wie dem
Sklaven gleichmäßig Vorteil bringende und billige Einrichtung; es ist einfach
die Folge davon, dass er sein Leben nicht durch Widersetzlichkeit gefährden
will.
Man hat versucht, die liberale Auffassung der
Institution der persönlichen Unfreiheit und, insofern der Gegensatz zwischen
Freien und Unfreien die Urform aller Standesunterschiede ist, damit auch die
liberale Auffassung des Ständewesens überhaupt dadurch zu widerlegen, dass man
die geschichtliche Rolle der Unfreiheit hervorgehoben hat. Es habe einen
Fortschritt der Kultur bedeutet, dass die Knechtung der im Kampfe Überwundenen
die Tötung verdrängt habe. Ohne Sklaverei hätte sich eine arbeitsteilige
Gesellschaft, in der die gewerbliche Arbeit von der Urproduktion geschieden
ist, nicht eher entwickeln können, als bis aller freie Grund und Boden vergeben
gewesen wäre, da jeder es vorgezogen hätte, freier Herr auf eigener Scholle als
landloser Verarbeiter von Rohstoffen, die andere gewinnen, oder gar als
besitzloser Arbeiter auf fremdem Acker zu sein. Da alle höhere Kultur ohne
Arbeitsteilung, die einem Teile der Bevölkerung die Möglichkeit bietet, ein von
den gemeinen Sorgen um das tägliche Brot befreites Leben der Muße zu führen,
undenkbar sei, hatte die Unfreiheit ihre geschichtliche Berechtigung.
Nun kann es wohl für eine den geschichtlichen Ablauf
nicht mit den Augen eines moralisierenden Philosophen betrachtende Auffassung
gar nicht in Frage kommen, ob eine geschichtliche Institution gerechtfertigt
werden könne oder nicht. Dass sie in der Geschichte aufgetreten ist, zeigt, dass
Kräfte wirksam waren, um sie zu verwirklichen. Was wir allein zu prüfen
vermögen, ist das, ob sie die ihr zugeschriebene Funktion tatsächlich erfüllt
hat. Das müssen wir im vorliegenden Fall schlechterdings verneinen. Die
Unfreiheit hat den Weg der arbeitsteiligen gesellschaftlichen Produktion nicht
bereitet; sie hat im Gegenteil den Weg zu ihr versperrt. Erst als die
persönliche Unfreiheit beseitigt worden war, konnte sich die moderne
industrielle Gesellschaft mit ihrer weit getriebenen Arbeitsteilung entfalten.
Dass noch freies herrenloses Land zur Besiedelung vorhanden war, hat weder die
Entstehung eines besonderen Gewerbes noch die einer Klasse freier Lohnarbeiter
gehindert. Denn das freie Land musste erst urbar gemacht werden, es bedurfte zu
seiner Bewirtschaftung einer Reihe von Meliorationsarbeiten und eines
Inventars, und schließlich war dieses Land seiner natürlichen Ergiebigkeit nach
häufig und seiner Lage nach meist schlechter als das bereits in Bebauung
befindliche.
Das Sondereigentum an den Produktionsmitteln ist die einzige
gesellschaftliche Voraussetzung der Arbeitsteilung; es bedarf nicht der
Unfreiheit des Arbeiters, um Arbeitsteilung zu schaffen.
Man verkennt das Wesen der kapitalistischen
Wirtschaft, wenn man die freie Lohnarbeit ökonomisch in eine Linie stellt mit
der von Unfreien geleisteten Arbeit. Soziologisch kann man zwischen den beiden
Arbeitssystemen Vergleiche ziehen. Beide sind eben gesellschaftliche
Arbeitsteilung, Systeme der gesellschaftlichen Kooperation, und weisen daher in
dieser Eigenschaft gemeinsame Züge auf. Doch auch die soziologische Betrachtung
darf nicht außer Acht lassen, dass der ökonomische Charakter der beiden Systeme
ein ganz verschiedener ist. Völlig verfehlt ist es, wenn man gar die Deutung
des ökonomischen Charakters der freien Lohnarbeit durch Argumente, die man aus
der Betrachtung der Sklavenarbeit herholt, zu stützen sucht. Der freie Arbeiter
empfängt das als Lohn, was ökonomisch seiner Arbeit zugerechnet wird. Den
gleichen Betrag legt auch der Herr aus, der Sklaven arbeiten lässt, indem er
für den Unterhalt des Sklaven sorgt und dem Sklavenhändler für den Sklaven den
Preis bezahlt, der dem Gegenwartswert der Beträge entspricht, um die der Lohn
freier Arbeit höher ist oder höher wäre als die Unterhaltskosten der Sklaven.
Der Überschuss des Arbeitslohnes über die Unterhaltskosten des Arbeiters kommt
mithin demjenigen zugute, der Freie in Sklaven verwandelt, dem Sklavenjäger,
nicht aber dem Sklavenhändler und nicht dem Sklavenhalter. Diese beiden
beziehen in der Sklavenwirtschaft kein spezifisches Einkommen. Wer daher
glaubt, die Ausbeutungstheorie durch den Hinweis auf die Verhältnisse der
Sklavenwirtschaft stützen zu können, verkennt das Wesen des Problems, um das es
sich handelt. In der ständisch gegliederten Gesellschaft haben alle Angehörigen
der die volle Rechtsfähigkeit entbehrenden Stände ein Interesse mit ihren Standesgenossen gemein: Sie streben die Verbesserung
der Rechtsstellung ihres Standes an. Alle Grundholden streben nach
Erleichterung der Zinslast, alle Sklaven nach Freiheit, das heißt nach einem
Zustand, der es ihnen gestatten würde, ihre Arbeitskraft für sich zu verwerten.
Dieses gemeinsame Standesinteresse ist umso stärker, je weniger es dem
Einzelnen möglich ist, sich selbst über die Rechtssphäre seines Standes zu
erheben. Dabei ist es nicht so sehr wichtig, ob in seltenen Ausnahmefällen
einzelne ganz besonders Begabte und von glücklichen Zufällen Geförderte in der
Lage sind, in höhere Stände aufzusteigen. Aus unbefriedigten Wünschen und Hoffnungen
einzelner entstehen keine Massenbewegungen. Es ist mehr das Interesse, die
eigene Kraft aufzufrischen, als das, die soziale Unzufriedenheit zu ersticken,
das die bevorrechteten Stände veranlassen muss, dem Aufstieg der Begabten kein
Hindernis in den Weg zu legen. Gefährlich können die Begabten, denen man das
Aufsteigen verwehrt hat, nur dann werden, wenn ihrem Aufruf zum gewaltsamen
Handeln der Widerhall in breiten Schichten Unzufriedener sicher ist.
Der Ausgang aller Ständekämpfe konnte den Gegensatz
der Stände nicht aufheben, solange die Idee ständischer Gliederung der
Gesellschaft bestehen blieb. Auch wenn es den Unterdrückten gelungen war, das
Joch, das auf ihnen lastete, abzuschütteln, waren damit noch nicht alle
Standesunterschiede beseitigt. Die grundsätzliche Überwindung des
Standesgegensatzes konnte erst erfolgen, als alle persönliche Unfreiheit
bekämpft wurde, weil die freie Arbeit als ergiebiger als die unfreie ist, und
die Freiheit der Bewegung und der Berufswahl als Grundforderungen vernünftiger
Politik verkündet wurden, so wurde, soweit der Rationalismus reicht, allem
Ständewesen ein Ende bereitet. Nichts charakterisiert besser das Unvermögen der
Kritik, die geschichtliche Bedeutung dessen zu erfassen, als das, dass sie die
Tragweite dieser Tat durch den Nachweis zu verkleinern versucht, sie sei den
„Interessen“ einzelner Gruppen entsprungen.
Im Ständekampf stehen alle Angehörigen des Standes
zusammen, weil sie gleiche Ziele verfolgen. Ihre Interessen mögen im Übrigen
noch so weit auseinandergehen, in dem einen Punkte treffen sie sich. Sie wollen eine
bessere Rechtsstellung ihres Standes erreichen. Mit der Verbesserung der
Rechtsstellung sind in aller Regel auch ökonomische Vorteile verbunden, da doch
ökonomische Benachteiligung der einen und Bevorzugung der anderen der Zweck der
ständischen Rechtsunterschiede ist.
Bei der „Klasse“ der antagonistischen
Gesellschaftstheorie liegen die Dinge völlig anders. Die Theorie des
unüberbrückbaren Klassengegensatzes ist inkonsequent, wenn sie bei der
Einteilung der Gesellschaft in drei oder vier große Klassen stehen bleibt. Folgerichtig
durchgeführt müsste sie in der Auflösung der Gesellschaft in
Interessentengruppen soweit gehen, bis sie zu den Gruppen gelangt, deren
Mitglieder ganz dieselbe Funktion erfüllen. Es genügt nicht, die Besitzenden in
Landeigentümer und Kapitalisten zu sondern. Man muss so lange weiter schreiten,
bis man etwa zu solchen Gruppen gelangt wie: Baumwollspinner, die die gleiche
Garnnummer erzeugen, oder Fabrikanten von schwarzem Chevreauleder oder Erzeuger
von hellem Bier. Solche Gruppen haben gegenüber der Gesamtheit aller anderen
zwar ein gemeinsames Interesse: sie sind lebhaft daran interessiert, dass der Absatz
ihrer Erzeugnisse sich günstig gestalte. Doch dieses gemeinsame Interesse ist
eng begrenzt. In der freien Wirtschaft kann ein einzelner Produktionszweig auf
die Dauer keinen überdurchschnittlichen Gewinn erzielen und andererseits auf
die Dauer auch nicht mit Verlust arbeiten. Das gemeinsame Interesse der
Branchenmitglieder erstreckt sich mithin nur auf die Gestaltung der Konjunktur
in einer begrenzten Spanne Zeit. Im Übrigen herrscht zwischen ihnen Wettbewerb,
nicht unmittelbare Interessensolidarität. Die Konkurrenz, die zwischen den
Mitgliedern eines und desselben Produktionszweiges besteht, wird durch
Hervortreten gemeinsamer Sonderinteressen nur dort wirksam verdrängt, wo in
irgendeiner Weise die Freiheit der Wirtschaft beschränkt ist. Doch wenn das
Schema seine Brauchbarkeit für die Kritik der Lehre von der Solidarität der
besonderen Klasseninteressen bewähren soll, dann müsste man den Beweis für die
Verhältnisse einer freien Verkehrswirtschaft führen. Es ist kein Beweis für die
Richtigkeit der Klassenkampftheorie, wenn man etwa auf die Gemeinsamkeit der
Interessen der Grundbesitzer gegenüber denen der städtischen Bevölkerung in der
Zollpolitik oder auf den Gegensatz von Grundbesitzern und Bürgern in der Frage
der politischen Herrschaft hinweist. Dass alle staatlichen Eingriffe in die
Freiheit des Verkehrs Sonderinteressen schaffen, leugnet auch unsere Lehre
nicht. Sie leugnet auch durchaus nicht, dass einzelne Gruppen auf diese Weise
für sich Sondervorteile herauszuschlagen vermögen. Was sie sagt, ist lediglich
das, dass solche Sonderbegünstigungen, wenn sie als Ausnahmeprivilegien kleiner
Gruppen auftreten, zu heftigen politischen Kämpfen, zu Rebellionen der nicht
privilegierten Vielen gegen die privilegierten Wenigen führen, die durch
dauernde Störung des Friedens die ganze gesellschaftliche Entwicklung stören,
wenn sie aber zur allgemeinen Regel erhoben werden, alle schädigen, indem sie
auf der einen Seite nehmen, was sie auf der anderen geben, und als bleibendes
Ergebnis nur eine allgemeine Verminderung der Produktivität der Arbeit
zurücklassen.
Die Interessengemeinschaft der Gruppenmitglieder und
ihr Interessengegensatz zu den anderen Gruppen sind immer nur das Ergebnis von
Beschränkungen des Eigentumsrechtes, der Freiheit des Verkehrs und der
Berufswahl, oder sie entspringen der Gemeinsamkeit und Gegensätzlichkeit von
Interessen in einer kurzen Übergangszeit.
Wenn aber zwischen den Gruppen, deren Glieder in der
Volkswirtschaft die gleiche Stellung einnehmen, keine besondere
Interessengemeinschaft besteht, die sie in Gegensatz zu allen anderen Gruppen
setzen würde, so kann auch keine bestehen innerhalb größerer Gruppen, deren
Glieder nicht die gleiche, sondern bloß eine ähnliche Stellung einnehmen. Wenn
zwischen den Baumwollspinnern untereinander keine Gemeinschaft von
Sonderinteressen besteht, dann besteht sie auch nicht zwischen den
baumwollverarbeitenden Gewerben überhaupt oder zwischen den Spinnern und den
Maschinenfabrikanten. Zwischen Spinner und Weber und zwischen Maschinenbauer
und Maschinenbenützer ist der unmittelbare Interessengegensatz so ausgeprägt
als er nur sein kann. Nur dort besteht Gemeinschaft der Gruppeninteressen, wo
die freie Konkurrenz ausgeschaltet ist, also etwa zwischen den Besitzern von
Boden bestimmter Qualität oder Lage.
Die Lehre von der Trennung der Bevölkerung in drei
oder vier große Interessentengruppen geht schon darin fehl, dass sie die
Eigentümer des Bodens als eine Klasse von einheitlichen Interessenten ansieht.
Das trifft durchaus nicht zu. Die Besitzer von Ackerland, von Waldgütern, von
Weinbergen, von Bergwerken oder von städtischen Grundstücken verbindet kein
besonderes gemeinsames Interesse, es sei denn das eine, das sie für die
Beibehaltung des Privateigentums an Grund und Boden eintreten. Doch das ist
kein Sonderinteresse der Besitzenden. Wer die Bedeutung des Privateigentums an
den Produktionsmitteln für die Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit erkannt
hat, muss als Mann ohne Halm und Ar und ohne sonstigen Besitz geradeso im
eigenen Interesse dafür eintreten wie der Besitzende. Echte Sonderinteressen
haben die Grundbesitzer immer nur in Bezug auf die die Freiheit des Eigentums
und des Verkehrs beschränkenden Einrichtungen.
Der Wettbewerb innerhalb der Klasse kommt aber auch
darin zum Ausdrucke, dass die Arbeiter sich gegenseitig die gehobene
Arbeiterstellung und den Aufstieg in höhere Schichten streitig machen. Den
Angehörigen der anderen Klassen mag es gleichgültig sein, wer die
Meisterstellung in der Arbeiterschaft einnimmt und wer zu den verhältnismäßig
Wenigen gehört, die aus niederen Schichten in die höheren aufsteigen, sofern es
nur die Tüchtigsten sind. Doch für die Arbeiter ist es eine hochwichtige Sache.
Hier ist jeder der Konkurrent des anderen. Freilich ist - das ergibt sich aus
der gesellschaftlichen Solidarität - jeder daran interessiert, dass alle
übrigen Vorarbeiterstellen mit den Besten und Geeignetsten besetzt werden. Doch
daran, dass die eine Stelle, für die er in Betracht käme, ihm zufalle, auch wenn nicht er dazu
der Geeignetste sein sollte, ist jeder interessiert, da der Vorteil, der ihm
dabei winkt, größer ist als der Bruchteil des allgemeinen Nachteiles, der auf
ihn zurückfällt.
Lässt man die Theorie von der Solidarität der
Interessen aller Glieder der Gesellschaft, die einzig mögliche
Gesellschaftstheorie, die einzige, die zeigt, wie Gesellschaft möglich ist,
fallen, dann löst man die gesellschaftliche Einheit nicht etwa in Klassen auf,
sondern in Individuen, die einander als Gegner gegenüberstehen. Der Gegensatz
der Einzelinteressen wird in der Gesellschaft überwunden, doch nicht in der
Klasse. Die Gesellschaft kennt keine anderen Teile als die Individuen. Die
durch Gemeinschaft von Sonderinteressen geeinte Klasse gibt es nicht; sie ist
eine Erfindung einer nicht genügend durchdachten Theorie. Je komplizierter die
Gesellschaft ist, je weiter in ihr die Differenzierung vorgeschritten ist,
desto mehr Gruppen gleichartig in den gesellschaftlichen Organismus gestellter
Personen gibt es, wenn auch naturgemäß im allgemeinen - das heißt im
Durchschnitt - die Zahl der Angehörigen einer Gruppe mit der Zunahme der Zahl
der Gruppen abnimmt. Dass gewisse unmittelbare Interessen der Angehörigen einer
jeden Gruppe gleichartig sind, schafft zwischen ihnen noch nicht eine
allgemeine Gleichheit der Interessen. Durch die Gleichartigkeit der Stellung
werden sie Konkurrenten, nicht Gleichstrebende. Ebenso wenig kann durch nicht
vollständige Gleichartigkeit der Stellung verwandter Gruppen
Interessengemeinschaft schlechthin entstehen; gerade soweit die Gleichartigkeit
der Gruppenstellung reicht, wird sie Wettbewerb zwischen ihnen spielen lassen.
Es ist mit der Klassenideologie nicht anders als mit
der nationalen. Auch zwischen den Interessen der einzelnen Völker und Stämme
bestehen keine Gegensätze. Erst die nationalistische Ideologie erzeugt den
Glauben an sie und schließt die Völker zu Sondergruppen zusammen, die sich
gegenseitig bekämpfen. Die nationalistische Ideologie zerreißt die Gesellschaft
in vertikaler, die sozialistische in horizontaler Richtung. Die beiden
schließen sich gegenseitig aus. Bald hat die eine, bald die andere die
Oberhand. 1914 hat in Deutschland die nationalistische Ideologie die
sozialistische in den Hintergrund gedrängt. Da gab es auf einmal eine
nationalistische Einheitsfront. 1918 wieder siegte die sozialistische Ideologie
über die nationalistische, 1933 … usw.
In unserer freien Gesellschaft gibt es keine Klassen,
die durch unüberbrückbare Interessengegensätze geschieden sind. Gesellschaft
ist Solidarität der Interessen. Der Zusammenschluss von Sondergruppen hat immer
nur den Zweck, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sprengen. Sein Ziel und
sein Wesen sind asozial. Die besondere Gemeinsamkeit der Interessen der
Proletarier reicht nur so weit, als sie alle ein Ziel verfolgen: die
Gesellschaft zu sprengen; und nicht anders ist es mit der besonderen
Gemeinsamkeit der Interessen der Angehörigen eines Volkes.
Der Umstand, dass die marxistische Theorie den Begriff
der Klasse nicht näher umschrieben hat, hat es ermöglicht, dass er in den
verschiedensten Auffassungen verwendet wird. Wenn man einmal den Gegensatz von
Besitzenden und Nichtbesitzenden, dann wieder von den Stadt- und Landinteressen,
dann wieder den von Bürgern, Bauern und Arbeitern als den ausschlaggebenden
hinstellt, wenn man von den Interessen des Rüstungskapitals, des
Alkoholkapitals, des Finanzkapitals – wie gerade jetzt bei Attac u.a. -
spricht, wenn
man einmal von der goldenen Internationale spricht, dann aber wieder den
Imperialismus aus den Gegensätzen des Kapitals heraus erklärt, so sieht man
gleich, dass es sich nur um Schlagwörter für den Gebrauch des Demagogen
handelt, nicht aber um Ausführungen irgendwelcher soziologischer Erkenntnis.
Der Marxismus hat sich im wichtigsten Punkte seiner Lehre über das Niveau einer
Parteidoktrin für die Gasse nie erhoben. Immer wieder kehrt die
Erörterung zu demselben Punkte zurück; die Grundfrage ist stets nur die, ob die
sozialistische Gesellschaftsordnung höhere Produktivität der gesellschaftlichen
Arbeit verspricht als die kapitalistische? Das mag dann jeder für sich
beantworten.
Rasse, Nationalität, Staatszugehörigkeit, Standesrecht
sind im Leben direkt wirksam. Es kommt nicht darauf an, ob eine Parteiideologie
alle Angehörigen derselben Rasse oder Nation, desselben Staats oder Standes zu
gemeinsamem Handeln zusammenfasst oder nicht. Die Tatsache, dass es Rassen,
Nationen, Staaten und Stände gibt, bestimmt das menschliche Handeln auch dann,
wenn keine Ideologie die Menschen veranlasst, sich durch die Zugehörigkeit zu
einer derartigen Gruppe in ihrem Handeln in einem bestimmten Sinne leiten zu
lassen. Des Deutschen Denken und Handeln ist durch die Geistesbildung, die er
mit dem Eintritt in die deutsche Sprachgemeinschaft übernommen hat,
beeinflusst; ob er unter der Einwirkung einer nationalistischen Parteiideologie
steht oder davon frei ist, ist dabei ganz gleichgültig. Er denkt und handelt
als Deutscher anders als der Grieche, dessen Denken durch die Geschichte der
griechischen Sprache und nicht durch die der deutschen bestimmt ist.
Die Parteiideologie des Nationalismus ist ein von der
Tatsache der Zugehörigkeit zu einer Nation ganz unabhängiger Faktor. Es können
verschiedene einander widersprechende nationalistische Parteiideologien
nebeneinander bestehen und um die Seele des einzelnen kämpfen; es kann aber
auch jede Art nationalistischer Parteiideologie fehlen. Die Parteiideologie ist
immer etwas, was zu der Gegebenheit des Zugehörens zu einer bestimmten
gesellschaftlichen Gruppe noch besonders hinzutritt und dann eine besondere
Quelle des Handelns bildet. Das gesellschaftliche Sein erzeugt keine adäquate
Parteidoktrin in den Köpfen. Die Parteistellung entspringt stets einer Theorie
über das, was frommt und nicht frommt. Das gesellschaftliche Sein mag unter
Umständen zur Annahme einer bestimmten Ideologie prädisponieren (vorausplanen);
die Parteidoktrinen werden mitunter schon so gestaltet, dass sie den
Angehörigen einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe besonders anziehend
erscheinen. Doch die Ideologie ist stets von der Gegebenheit des
gesellschaftlichen und des natürlichen Seins zu unterscheiden.
Das gesellschaftliche Sein selbst ist ein
ideologisches Moment, insofern Gesellschaft ein Produkt menschlichen Wollens
und daher auch menschlichen Denkens ist. Die materialistische
Geschichtsauffassung ruft heillose Begriffsverwirrung hervor, wenn sie das
gesellschaftliche Sein als vom Denken unabhängig ansieht.
Bezeichnet man die Stellung, die dem einzelnen
Menschen im Kooperationsorganismus der Wirtschaft zukommt, als seine
Klassenlage, dann gilt das oben Gesagte auch von der Klasse. Dann muss man auch
hier zwischen den Einflüssen unterscheiden, denen der einzelne durch seine Klassenlage
ausgesetzt ist, und zwischen den parteipolitischen Ideologien, die auf ihn
einwirken. Der Bankangestellte steht unter dem Einflusse der Tatsache, dass er
gerade diese Stellung in der Gesellschaft einnimmt. Ob er daraus den Schluss
zieht, dass er für kapitalistische oder für sozialistische Politik eintreten
müsse, hängt von den Ideen ab, die ihn beherrschen.
Fasst man aber den Begriff der Klasse in dem
marxistischen Sinne einer Dreiteilung der Gesellschaft in Kapitalisten,
Grundherren und Arbeiter auf, dann verliert er jede Bestimmtheit. Dann ist er
nichts als eine Fiktion, die der Begründung einer konkreten parteipolitischen
Ideologie dienen soll. So sind die Begriffe Bourgeoisie, Arbeiterklasse,
Proletariat Fiktionen, deren Brauchbarkeit für die Erkenntnis von der Theorie,
in der sie Verwendung finden, abhängt. Diese Theorie ist die marxistische Lehre
von der Unüberbrückbarkeit der Klassengegensätze. Wenn man diese Theorie nicht
als brauchbar ansieht, dann bestehen keine Klassen-unterschiede und keine
Klassengegensätze im marxistischen Sinne. Ist nachgewiesen, dass zwischen den
richtig verstandenen Interessen aller Glieder der Gesellschaft letztlich kein
Gegensatz besteht, dann ist damit nicht nur klargestellt, dass die marxistische
Auffassung von der Gegensätzlichkeit der Interessen nicht zu halten ist; auch
der Begriff der Klasse, in dem Sinne, wie ihn die sozialistische Lehre
verwendet, ist dann als wertlos abgetan. Denn nur im Rahmen dieser Theorie hat
die Zusammenfassung der Kapitalisten, der Grundbesitzer, der Arbeiter zu
gedanklichen Einheiten einen Sinn. Außerhalb dieser Theorie ist die
Zusammenfassung ebenso zwecklos wie es etwa die Zusammenfassung aller blonden
oder brünetten Frauen zu einer Einheit ist, wenn man nicht - wie etwa bestimmte
Rassentheorien - der Haarfarbe, sei es als äußeres Merkmal, sei es als
konstitutives (bestimmendes) Moment, eine besondere Bedeutung beizulegen weiß.
Durch die Stellung, die der einzelne im
arbeitsteiligen gesellschaftlichen Produktionsprozess einnimmt, werden seine
ganze Lebensführung, sein Denken und seine Einstellung zur Welt in
entscheidender Weise beeinflusst. Das gilt in mancher Hinsicht auch von der
Verschiedenheit der Stellung, die dem einzelnen in der Ausführung der
Produktion zukommt. Unternehmer und Arbeiter denken anders, weil die Gewohnheit
der täglichen Arbeit den Blick anders einstellt. Der Unternehmer sieht immer
das Große und Ganze, der Arbeiter nur das Nächste und Kleine. Jener
wird großzügig, dieser bleibt am Kleinen haften. Das sind gewiss Dinge, die von
großer Wichtigkeit für die Erkenntnis der gesellschaftlichen Verhältnisse sind.
Doch damit ist noch nicht gesagt, dass es darum schon zweckmäßig wäre, den
Begriff der Klasse in dem Sinne, in dem ihn die sozialistische Theorie
verwendet, einzuführen. Denn diese Unterscheidungsmerkmale haften nicht an und
für sich schon an der Verschiedenheit der Stellung im Produktionsprozess. Der
kleine Unternehmer steht in seinem Denken dem Arbeiter näher als dem großen
Unternehmer, der leitende Angestellte großer Unternehmungen ist wieder dem
Unternehmer enger verwandt als dem Arbeiter. In vieler Hinsicht ist die
Unterscheidung von arm und reich für die Erkenntnis der gesellschaftlichen
Zustände, die wir hier im Auge haben, wichtiger als die von Unternehmer und
Arbeiter. Die Lebenshaltung und Lebensführung wird mehr durch die Höhe des
Einkommens bestimmt als durch die Stellung zu den Produktionsfaktoren; diese
kommt dafür nur soweit in Betracht, als sie sich in der Abstufung der Höhe des
Einkommens ausdrückt.
Feuerbach hatte verkündet: „das Denken ist aus dem
Sein, aber das Sein nicht aus dem Denken“. Was hier nur die Abkehr vom
Idealismus der Hegelschen Richtung ausdrücken sollte, wird in dem berühmt
gewordenen Ausspruch: „Der Mensch ist, was er isst“ zum Losungswort des
Materialismus. Vogt gibt der materialistischen These die schärfste Prägung,
indem er den Satz verteidigt, „dass die Gedanken etwa in demselben Verhältnis
zum Gehirn stehen wie die Galle zu der Leber oder der Urin zu den Nieren!“. Derselbe
naive Materialismus, der ohne Ahnung von der Schwierigkeit der Probleme die
philosophische Grundfrage durch Zurückführung alles Geistigen auf Körperliches
einfach und vollständig zu lösen vermeint, tritt auch in der ökonomischen
Geschichtsauffassung von Marx und Engels zutage. Die Bezeichnung
materialistische Geschichtsauffassung, die sie trägt, entspricht ihrem Wesen,
als er ihre und des zeitgenössischen Materialismus erkenntnistheoretische
Gleichartigkeit treffend und im Sinne ihrer Begründer hervorhebt.
Die Ideen des modernen Sozialismus sind nicht
Proletarierköpfen entsprungen; sie haben Intellektuelle, Söhne der Bourgeoisie,
nicht Lohnarbeiter zu ihren Urhebern. Der Sozialismus hat nicht nur
die Arbeiterschaft ergriffen; er zählt offen und versteckt auch unter den
Besitzenden Anhänger.
Das theoretische Denken ist von den Wünschen, die der
Denker liegt, und von den Zielen, denen er zustrebt, unabhängig. Diese
Unabhängigkeit qualifiziert es erst als Denken. Wünsche und Zielsetzungen
regeln das Handeln, nicht das reine Denken. Wenn man meint, die Wirtschaft
beeinflusse das Denken, so kehrt man den
Sachverhalt gerade um. Die Wirtschaft als rationales Handeln ist vom
Denken, nicht das Denken von der Wirtschaft abhängig.
Selbst wenn man zugeben wollte, dass das
Klasseninteresse dem Denken den Weg weise, so könnte dies doch wohl nur so
verstanden werden, dass das erkannte Klasseninteresse dabei in Frage kommt. Die
Erkenntnis des Klasseninteresses aber ist bereits ein Erzeugnis des
Denkprozesses. Ob dieser Denkprozess ergibt, dass besondere Klasseninteressen
bestehen oder dass die Interessen aller Klassen in der Gesellschaft letzten
Endes harmonieren, liegt mithin jedenfalls vor dem klassenmäßig determinierten
Denken.
Unsere Zeit hält es freilich für selbstverständlich,
dass der Arbeiter sozialistisch denken und handeln müsse. Doch zu dieser
Auffassung gelangt sie nur auf die Weise, dass sie annimmt, die sozialistische
Gesellschaftsordnung sei entweder die den Interessen des Proletariates am
besten entsprechende Gestalt des menschlichen Zusammenlebens oder es scheine
zumindest dem Proletariate, dass sie es sei. Was von jenem zu halten sei, ist
schon genügend erörtert worden. Dann bleibt also, angesichts der nicht zu
bezweifelnden Tatsache, dass der Sozialismus, mag er auch in anderen Schichten
zahlreiche Anhänger zählen, vor allem unter den Arbeitern verbreitet ist, die
Frage zu erörtern, warum der Arbeiter vermöge der Besonderheit der Stellung,
die er im gesellschaftlichen Arbeitsprozess einnimmt, zu Auffassungen neigt,
die ihn für die sozialistische Ideologie empfänglich machen.
Die demagogische Liebedienerei der
sozialdemokratischen Parteien preist den Arbeiternehmer und die Arbeitnehmerin
des modernen Kapitalismus als ein Wesen, das durch alle Vorzüge des Geistes und
des Charakters ausgezeichnet ist. Eine nüchterne und weniger voreingenommene
Betrachtung wird vielleicht zu ganz anderen Ergebnissen gelangen. Doch man mag
Untersuchungen dieser Art ruhig den Parteiliteraten der verschiedenen
Richtungen überlassen. Für die Erkenntnis der gesellschaftlichen Zustände im
Allgemeinen und der Soziologie des Parteiwesens im Besonderen sind sie ganz
wertlos. Die Frage ist hier allein die, wieso dem Arbeiternehmer und der
Arbeitnehmerin die Stellung, die sie im Produktionsprozess einnehmen, leicht zu
der Auffassung führen kann, dass die sog. soziale Produktionsweise nicht nur
überhaupt möglich, sondern sogar rationeller sei als die kapitalistische.
Die Antwort darauf kann nicht schwer fallen. Der
Arbeiternehmer und die Arbeitnehmerin des kapitalistischen Groß- und
Mittelbetriebes sehen und weiß gar nichts vom geistigen Band, das die einzelnen
Teile der Arbeit zu dem sinnvollen Ganzen der Wirtschaft verbindet. Ihr
Gesichtskreis als Arbeiternehmer und Arbeitnehmerin und Produzent und
Produzentin reicht nicht über den Teilprozess, die ihnen obliegen hinaus. Sie
halten sich allein für ein produktives Glied der menschlichen Gesellschaft und
sehen in jedem, der nicht gleich ihm an der Maschine steht oder Lasten
schleppt, nicht nur im Unternehmer, sondern auch im Ingenieur und im
Werkmeister einen Parasiten. Selbst der Bankangestellte glaubt, dass er allein
im Bankbetriebe produktiv tätig sei und den Gewinn des Unternehmens erarbeite,
und dass der Direktor, der die Geschäfte abschließt, nur ein überflüssiger
Faulenzer sei, den man ohne Schaden durch einen beliebigen Menschen ersetzen
könnte. Die Erkenntnis des wahren Zusammenhanges der Dinge kann dem
Arbeiternehmer und der Arbeitnehmerin aus ihrer Stellung unmöglich kommen. Sie
könnten sie allenfalls durch Nachdenken mit Hilfe von Büchern erlangen, niemals
aber können sie sie aus dem, was ihnen ihre eigene Tätigkeit an
Tatsachenmaterial zuführt, erschließen. So wenig der Durchschnittsmensch aus
dem, was ihm die tägliche Erfahrung zuführt, zu einer anderen Auffassung
gelangen kann als zu der, dass die Erde still steht und dass die Sonne täglich
im Bogen von Ost nach West zieht, so wenig kann der Arbeiternehmer und die
Arbeitnehmerin aus ihrer eigenen Erfahrung heraus zur Erkenntnis des Wesens und
des Getriebes der Wirtschaft gelangen. Der Sozialismus ist der der
Arbeiterseele entsprechende Ausdruck des Gewaltprinzips wie der Imperialismus
der der Soldaten- und Beamtenseele entsprechende ist.
Nicht, weil es ihren Interessen tatsächlich entspricht, sondern weil sie
glauben, dass es ihren Interessen entspricht, neigen die Massen immer noch zum
Sozialismus.
Mit dem hier gesagten haben wir dann zusammen genommen den schönsten Plott
für die gerade ablaufende Situation. Die Regierungen (jeweilige Koalitionen)
schaffen den Sozialismus auf Pump mit EURO, DOLLAR usw. und die anderen denken,
es muss immer so schön weitergehen. Und plötzlich sind alle verwundert wenn das
Märchenland in Gefahr ist.
Für heute war es das!
Macht`s gut Nachbarn!