Mittwoch, 25. Februar 2009

Sokratische Gespräche aus Xenofons denkwürdigen Nachrichten

Sokratische Gespräche aus Xenofons denkwürdigen Nachrichten von Sokrates.

Ausgewählt und übersetzt von Christoph Martin Wieland

Ich berge nicht, daß ein Seitenblick auf die Wolken des Aristofanes mich bestimmt hat, einige der interessantesten Gespräche des Sokrates aus Xenofons Sokratischen Denkwürdigkeiten auszuheben und in diesem IIIten B. des Attisch. Mus. auf meine Uebersetzung der Wolken folgen zu lassen. Ich setze voraus, was unter den Gelehrten ziemlich ausgemacht scheint, daß man die dem Sokrates eigene Manier zu filosofieren und zu konvergieren aus Xenofons Apomnemoneumen zuverläßiger als aus Platons Dialogen kennen lerne; wiewohl ich nicht zweifle, daß auch Xenofon uns öfters mehr den Geist als die Worte seines Meisters gegeben, und nicht selten, theils unvorsetzlich theils wissentlich, von dem Seinigen dazu gethan habe. Meine Art zu übersetzen ist bekannt. Sie hat ihr Gutes und Böses, wie alle menschlichen Dinge, und zwar so, daß jenes ohne dieses nicht zu erhalten ist. Ich bleibe aber bey ihr, weil ich überzeugt bin, daß sie, für mich wenigstens, die beste ist; auch wünsche ich von meinen Uebersetzern nicht anders behandelt zu werden, als wie ich den Horaz, Lucian und Aristofanes behandelt habe, und nun auch den Xenofon behandeln werde. Ich umschreibe zuweilen, wo andere sich knapper ans Original halten, und wo andere umschreiben, übersetze ich oft so wörtlich als es die Sprache nur immer erlauben will; beydes weder aus Eigensinn oder Laune, noch der Bequemlichkeit wegen, sondern weil ich es so für recht halte. Ich könnte für jede Periode, jede Zeile, jedes gewählte Wort meine Gründe angeben, und es würde, schon bey einem einzigen der folgenden Gespräche, ein dickes Buch daraus werden, das mir niemand zu schreiben zumuthen wird, wie ich Niemandem zumuthen möchte es zu lesen, - wiewohl es am Ende doch für Anfänger, und selbst für manche Beurtheiler, nicht ganz ohne Nutzen sein dürfte. Die zwey Hauptregeln, die ich immer zu beobachten suche, sind: 1) Mich nie von den Worten, und Redensarten, den Stellungen und Wendungen, dem Periodenbau und dem Rhythmus meines Autors καδδυναμιν zu entfernen, als wo und so weit es mir entweder die Verschiedenheit der Sprachen, oder mein letzter Zweck, - von dem Sinn und Geist einer Stelle nichts, oder doch so wenig als möglich, bey meinen Lesern verlohren gehen zu lassen - zur unumgänglichen Pflicht macht; aber auch 2) so oft dies letztere der Fall ist, oder mir zu seyn scheint, (denn wer ist in seinem Urtheil, zumahl wo es oft aufs bloße Gefühl ankommt, unfehlbar?) mir nicht das geringste Bedenken daraus zu machen, wenn ich auch eine oder zwey Zeilen nöthig haben sollte um das zu sagen, was der Grieche oder Römer mit zwey oder drey Worten gesagt hat. Warum ich übrigens weder deutschgriechisch noch griechischdeutsch schreibe, bedarf hoffentlich keiner Rechtfertigung. Soviel von der Uebersetzung. Ueber die folgenden Dialogen selbst, (besonders in Rücksicht auf die geistige Hebammenkunst, auf welche Sokrates sich soviel zu Gute that) halte ich meine Gedanken noch zurück; theils weil ich gewöhnlich gern zuletzt votiere, theils weil ich es für recht und billig halte, daß dem Leser sein Urtheil frey gelassen werde. Nur möchte ich denen, die mit Sokrates und Xenofon nicht schon von langem her in genauer Bekanntschaft stehen, rathen, mit ihrem Endurtheil so lang' als möglich zurückzuhalten.

 

Christoph Martin Wieland

Samstag, 21. Februar 2009

Eine Welt ohne Presse

ZUKUNFT DER MEDIEN
Zeitschriften sterben, US-Zeitungshäuser beerdigen Regionalblätter - und die Zielgruppe lässt das völlig kalt. Viele Leser halten das Modell Presse für überholt. Aber wie würde eine Welt ohne Journalismus klassischer Prägung aussehen? Ein Szenario. An dem Tag, als der Verlag Condé Nast sein deutsches Prestige-Magazin "Vanity Fair" einstellte, waren die Aktien der "New York Times" auf einem neuen Tiefstand. Ein Anteilsschein der renommiertesten Tageszeitung der Welt kostete am Mittwoch 13 Cents weniger als die Sonntagsausgabe des Blatts, die für vier US-Dollar verkauft wird. Die Anzeigeneinnahmen brechen weg, die Presse ist in einer Krise, die in den USA existenzbedrohende Ausmaße angenommen hat.
Journalismus 2009: "Halt für die Massen produziert". Der Tenor vieler Leserbriefe und -kommentare zu diesen Meldungen: Na und? Wie schlecht das Ansehen der Presse ist, illustriert dieser Satz aus einer Leser-E-Mail zum Artikel " Zeitung als Shareware?": "Jetzt kommt die Quittung. Alles Alte verschwindet. Tageszeitungen gehören dazu wie fossile Autos. Einfach weg." Bemerkenswert bei diesen Kommentaren ist, dass die Ablehnung sich nicht gegen spezielle Produkte oder Vertriebsformen richtet. Die leidige Print-Online-Debatte ist für die Leser gar nicht relevant - sie halten die traditionellen Medien insgesamt für überholt. Abfällig äußern sich Leser über "Mammutverlage", Produkte, die "halt für die Massen produziert" werden und Medienmacher, die sie für "abgehoben und arrogant" halten.
Einmal angenommen, es käme so. Einmal angenommen, die Massenpresse würde einfach verschwinden - wie könnte der Alltag in so einer Gesellschaft aussehen? Drei Gedanken zur Welt ohne Massenpresse. Nur Massenpresse schafft Öffentlichkeitsdruck Fangen wir ganz klein an, in Essen Kray-Leithe zum Beispiel: Da regen sich die Anwohner einer Busendhaltestelle seit Jahren darüber auf, dass die Busse dort mit laufendem Motor vor Wohnhäusern parken, während die Fahrer Pause machen. 1993 empfahl der Petitionsausschuss des Landtags, die Haltestelle zu verlegen. Die Bezirksvertretung der Stadt hat das seitdem immer wieder mit wechselnden Argumenten abgelehnt. Wie mache ich der Stadtverwaltung Druck? Es gibt sicher zigtausend solcher Fälle in deutschen Gemeinden: Eine Straße, ein Haus, vielleicht auch nur eine Familie ist unmittelbar betroffen, das Druckpotential daher recht klein im Vergleich zu Fällen, die weit mehr Menschen unmittelbar angehen (Autobahnbau, Umgehungsstraße usw.). Also machen die Krayer, was Betroffene in solchen Fällen fast immer machen: Sie schreiben der Lokalzeitung und die macht eine Aufregergeschichte daraus. Der Mechanismus ist so alt wie die Massenmedien: Ein Aufreger erzählt exemplarisch die Geschichte der ignoranten Bürokraten, die auf die Meinung von ein paar Bürgern wenig geben. Das ärgert dann alle Leser und schafft eine mittelbare Betroffenheit. Diese Methode funktioniert oft recht gut. Selbst wenn die Leser gar nicht aktiv werden, glauben die kritisierten Behörden, Unternehmen oder Institutionen, es nun mit einer kritischen Masse aufgeregter Bürger zu tun zu haben, auch wenn sie das nur mediatisiert als einen Artikel in einem Online-Medium, einer Zeitung oder einem Magazin wahrnehmen. Der oft bemühte Druck der Öffentlichkeit ist letztlich vermittelt - direkten Kontakt haben die betroffenen Instutionen oder Unternehmen nur mit Medienvertretern. Die Methode Leserbrief. Man muss als Betroffener also gar nicht viele Menschen dazu bringen, aktiv etwas zu tun - die Wahrnehmung, dass da draußen nun eine kritische Masse ist, reicht oft als Druckmittel. Bei der Endhaltestelle in Kray-Leithe zum Beispiel sagten dann auch gleich die von der Regionalzeitung angefragten Lokalpolitiker, es "dürfe nicht am Geld scheitern", die "Linie zu verlegen". Im Web hört man nur die aktiv Protestierenden. Was könnte den Mechanismus Öffentlichkeitsdruck ersetzen, wenn die Massenpresse als Vermittler fehlt? Es gibt einige interessante Ansätze, Bürger übers Netz auch für kleine, lokale Belange zu aktivieren. In Großbritannien zum Beispiel versucht eine Stiftung, über das Portal "MySociety" Bürgern eine Handhabe bei kleinen, lokalen Problemen zu geben. Unter Fixmystreet.com können Betroffene Ärgernisse wie Schlaglöcher oder defekte Laternen melden, Kontaktmöglichkeiten für die verantwortlichen Behörden einstellen und dokumentieren, wer sich schon beschwert hat. Solche Projekte setzen drei Dinge voraus, damit die verantwortlichen Behörden eine kritische Masse wahrnehmen: Die Bürger müssen die Seite kennen, auf der sie ihren Protest kundtun. Sie müssen dazu idealerweise alle dasselbe Forum verwenden. Und sie müssen aktiv ihre Meinung äußern. Bleibt nur das Problem, dass Nutzer ein Angebot wie Fixmystreet nur aufrufen, wenn sie selbst ein akutes Anliegen haben und dann auch nur in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft nach Mitstreitern und anderen Ärgernissen suchen. Die Öffentlichkeit ist hier per Definition zersplittert. Das hier jemand aus einem anderen Stadtteil das Busproblem in Kray-Leithe bemerkt und sich über die Bürokratie ärgert, ist wenig wahrscheinlich. Bei einem Artikel in der - lokalen - Massenpresse genügt die Veröffentlichung an sich, um bei Politikern und Verwaltungsangestellten den Eindruck einer informierten, kritischen Öffentlichkeit herzustellen. Das kann sich natürlich ändern, wenn einmal ein Online-Forum für organisierten Protest groß und bekannt genug ist, um auch der Lokalpolitik ein Begriff zu sein. Vielleicht genügt dann eine Veröffentlichung dort, um Politiker nervös werden zu lassen.
Fazit: Wenn Mittler wie MySociety so etwas wie Massenmedien werden, könnten sie eine ähnliche Kontrollfunktion erfüllen wie die Massenpresse heute. Nur würde gerade das ihrem extrem lokalen und individualisierten Prinzip widersprechen. Medienmacher definieren, welche Fakten relevant sind. Der Streit um die von Facebook geänderten Nutzungsbedingungen zeigt, wie im Netz eine relevante Information öffentlich wird. Die Änderung der AGB kündigte Facebook-Anwältin Suzie White schon am 4. Februar im Firmenblog an. Dass aber bei diesem Prozess ein entscheidender Absatz aus dem Rechtstext verschwand und Facebook sich so die Rechte an den Daten seiner Mitglieder für alle Ewigkeit sicherte, bemerkte erstmal niemand. Das änderte sich am 15. Februar, als US-Verbraucherschützer in ihrem Blog Consumerist darüber berichteten - Titel: "Wir können mit euren Daten machen, was wir wollen. Für immer." Wir brauchen einen Grundkonsens, was relevant ist. Dieser Blogeintrag landete auf der Titelseite der Community-News-Plattform Digg, ein Blog des "Wall Street Journal" griff ihn auf und am Montag stand die Geschichte in allen relevanten Online-Medien und die erstes Mitglieder der Protestgruppe auf Facebook schrieben ihre wütenden Kommentare. Der Fall zeigt: Eine frei verfügbare Information wird nicht zwangsläufig zu einer Nachricht. Sie kann auch tagelang im Netz stehen, bis jemand den Nachrichtenwert erkennt, formuliert, die Relevanz des Ganzen einschätzt - wie der Consumerist im Fall von Facebook. Dasselbe Prinzip kann man auch im Lokalen, bei Auslandsthemen und in allen Ressorts beobachten. Hier kommt eine Schwierigkeit hinzu: Es gibt nicht auf jedem Gebiet und in jeder Region der Welt Organisationen mit eigenen Blogs wie den Consumerist. Blogs funktionieren nach dem Schema Massenpresse. Dass die Nachricht vom Consumerist von dort aus dann so schnell die Runde gemacht hat, hängt sicher damit zusammen, dass viele Blogger, Journalisten und bloggende Journalisten den Consumerist lesen. Das Blog hat im Durchschnitt eine halbe Million Besucher täglich, dazu kommen mit Sicherheit eine Menge nicht ausgewiesene Leser, die das Blog per RSS-Feed verfolgen, aber nie die Seite aufrufen. Das bedeutet: Consumerist hat mehr Leser als manche überregionale deutsche Tageszeitung Abonnenten und funktioniert somit online nicht anders als ein Massenmedium. Dass ein Unterschied zwischen manchen Blogs und Online-Massenmedien kaum trennscharf zu definieren ist, debattieren derzeit viele Autoren im Web.
Fast alle Durchlauferhitzer und Multiplikatoren der vom Consumerist bearbeiteten Facebook-Nachricht funktionieren nach dem Schema Massenpresse: Egal ob "Wall Street Journal" oder SPIEGEL ONLINE - hier veröffentlichen wenige Autoren für viele, anonyme, unbestimmte, sozial und geografisch verstreute Leser. Nur die Community-News-Plattform Digg funktioniert ein wenig anders, allerdings hat sie bei der Facebook-Meldung lediglich vorhandenes Material weiterverwendet und zudem bei der Verbreitung keine herausragende Rolle gespielt. Fazit: Der Grundkonsens, was relevant ist, entsteht heute im Web im Prinzip nach dem alten Massenpresse-Prinzip. Es gibt keinen Mechanismus, der die Relevanz frei verfügbarer Informationen erkennt - das übernehmen Menschen. Und sie finden Gehör, wenn sie sich in einem Medium vor einem leidlich großen, unbestimmten Publikum äußern. Ohne Massenpresse hätte so schnell niemand die Brisanz der Facebook-AGB erkannt oder von der umstrittenen Entfernung einer israelischen Fahne bei einer Demonstration in Duisburg erfahren, über die zuerst das von Journalisten betriebene Blog Ruhrbarone schrieb.
Veranstaltungen und Vereine sind nichts für die Presse. In den siebziger Jahren entstanden in vielen deutschen Großstädten Stadtmagazine, weil die Presse vor Ort einfach nicht über das berichtete, was viele Menschen unter 30 interessierte: die sogenannte Alternativkultur. Das meiste davon ist heute Mainstream, nur muss heute kaum jemand Stadtmagazine lesen, um zu wissen, welche Konzerte, Partys und Lesungen wann und wo stattfinden. Seit Jahren schickt so gut wie jeder Club zielgruppengenau per E-Mail sein Programm an alle Interessierten. Musikcommunitys empfehlen Mitgliedern passend zum Musikgeschmack Konzerte, listen auf, was die eigenen Freunde interessiert und wer wohin geht. Bei solchen Informationen sind Soziale Netzwerke wie LastFM, Facebook und sogar StudiVZ den traditionellen Medien weit überlegen - man interessiert sich ja nur für einen kleinen Anteil all der Dinge, die in der eigenen Stadt passieren. Höchstwahrscheinlich für jenen kleinen Anteil, der auch die eigenen Kollegen begeistert. Den Wettbewerb auf diesem Terrain könne auch die engagiertesten Lokalzeitungsredaktionen nicht gewinnen. Ihre Stärke ist nicht die Veröffentlichung kompletter Veranstaltungslisten oder gar die zielgenaue Empfehlungen für einzelne Leser, sondern eine überraschende Auswahl und ein streitbares Urteil. Genauso ist es im Grunde genommen auch mit den Vereinsnachrichten, die viele Lokalzeitungen füllen. Ein zynischer Journalistenwitz erzählt, dass man einmal im Jahr nur mindestens ein Foto jedes Vereinmitglieds abdrucken müsse, um eine Lokalzeitung zu verkaufen - die Leser würden abonnieren, um das eigene Foto nicht zu verpassen. Solche Inhalte waren eigentlich immer schon user generated content - kein Wunder, dass Web-Plattformen wie Meinverein dieses Prinzip heute ohne Druck- und Personalkosten für Journalisten monetarisieren wollen. Einen Schritt weiter gehen gedruckte Gratismedien wie die in einigen Gemeinden Nordrhein-Westfalens verbreiteten "Informer"-Magazine: Die Anzeigenblätter fordern Vereine, Geschäftsleute, Politiker, und Bürger auf, die Seite einfach selbst online mit Fotos und Texten zu füllen - " Open magazine, ein modernes Medium im klassischen Gewand" heißt das Konzept. Fazit: Zur Verbreitung von Veranstaltungshinweisen, Vereinsnachrichten und Verlautbarungen gibt es bessere Kanäle als die traditionellen Medien. Was immer weniger Menschen unmittelbar und kaum jemanden mittelbar betrifft oder interessiert, ist in einem Medium für ein großes und heterogenes Publikum fehl am Platz.

http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,608592,00.html

Donnerstag, 19. Februar 2009

MEDIZIN DER RÖMER

Griff in die Wunde

Der Grieche Galen war unter den Ärzten der Kaiserzeit der Star. Allerdings half der Gelehrte bei seinen Erfolgen mit manch rabiatem Trick nach.Es herrscht Untergangsstimmung in Rom im Jahre 166 nach Christus. Die Legionäre des Kaisers Lucius Verus haben die Pocken in die Metropole eingeschleppt. Mit Pusteln übersäte Sieche, gepeinigt von Fieber und Durchfall, wanken durch die Straßen der ins Chaos gefallenen Stadt. Ein Drittel der Bevölkerung rafft die Plage dahin. Galen: der Grieche wurde zum Wunderdoktor der Römer. Panik breitet sich aus. Ist kein Arzt an Bord? Doch, und nach seiner eigenen Einschätzung gar der beste von allen: Galenos aus Pergamon ist ein Großmaul, der mit einer Kühnheit wie kaum einer seiner Kollegen an den Kranken herumsägt und -salbt. Rivalen demütigt der Hochbegabte reihenweise als Scharlatane. Und er vollbringt wahre Wunderdinge an den Mürben und mit Martern Geschlagenen. Sein Arbeitsplatz ist das Kolosseum, wo Galen als antiker Mannschaftsarzt schwerverwundete Gladiatoren behandelt. Einen übel getroffenen Kämpfer rettet er mit einem Eingriff an der Bauchdecke, einem anderen Recken näht der Medikus den zerhackten Muskel im Oberschenkel wieder zusammen. Der Mittdreißiger steht auf der Höhe seiner Schaffenskraft, sein Ruhm entspricht seinem Talent - aber nun packt ihn die berechtigte Sorge, in seiner von Pestilenzerregern überfluteten Wahlheimat zu sterben. Galen packt seine Sachen und verschwindet aus Rom. Doch er kommt nicht weit. Sein Freund und Förderer, Kaiser Marc Aurel, will ihn nicht ziehen lassen. Der Imperator beordert den Abtrünnigen zurück in die geplagte Stadt. Einer wie er wird hier nicht nur in Zeiten nackten Notstands gebraucht. Neben den Pocken nagen etliche weitere Übel am Herzen des Riesenreichs. Regelmäßig überschwemmt zum Beispiel der Tiber die Weltstadt. Bröckelige und völlig überfüllte Mietskasernen brechen in sich zusammen. In der Kapitale antiker Zivilisation breiten sich Cholera und Typhus aus wie in einem heutigen Drittweltland. Was kaum eine feindliche Armee schafft, gelingt den Seuchen um so verheerender. Das einfache Volk entsorgt seinen Abfall, wo es geht und steht. Streunende Hunde wühlen in Müllbergen herum, auf denen Leichen verwesen. Das Reich kennt modernste Badeanstalten, doch das Trinkwasser ist mit gefährlichen Keimen verunreinigt. Kaum ein Bewohner der Kulturmetropole, den nicht Bandwürmer quälen. Zudem wütet in der schwülen Modergrube die Malaria. Im Durchschnitt erreichen die Römer gerade mal das Teenager-Alter. Mitten im Elend steht Galen, der Wunderdoktor, und protokolliert fleißig die Symptome seiner geschundenen Mitbürger. Dass Historiker recht detailliert über die katastrophale Gesundheitslage im Rom des zweiten Jahrhunderts nach Christus informiert sind, ist vor allem den zahlreichen Traktaten und Berichten des Schreibwütigen zu danken. Zwar weiß man nicht, ob er eine Ehefrau, Kinder oder Geschwister hatte. Wohl aber, dass seine Mutter eine streitlustige Zicke war, die in unkontrollierten Zornesausbrüchen gegen die Haussklaven und ihren Ehemann pöbelte. Galen kommt im Jahr 129 in Pergamon, einer griechischen Kulturhochburg nahe der Westküste Kleinasiens, zur Welt. Sein Vater ist Architekt und Mathematiker. Er selbst beginnt mit 16 sein Medizinstudium. Er ist Anfang dreißig, als er im Jahr 161 erstmals nach Rom kommt. Die Stadt wird sein Schicksal - allerdings nicht in der von ihm befürchteten Weise. Obwohl die Menschen um ihn herum Blut spucken und vor Fieber glühen, bleibt Galen kerngesund. Er stirbt erst hochbetagt mit 70 Jahren. In der Hauptstadt des Reiches produziert er ein schriftliches Oeuvre, das noch im Mittelalter und sogar bis in die frühe Neuzeit verehrt und gelehrt wird. Dabei treibt den Mann mitunter frappierende Ahnungslosigkeit. So ist er in Anlehnung an seinen griechischen Landsmann Hippokrates überzeugt, dass die vier Körpersäfte ("humores") - Blut, Schleim sowie gelbe und schwarze Galle - über die Gesundheit des Menschen befinden. In seinem Namen lässt er seine Schüler vor Publikum an einem Affen den Nachweis führen, dass die Arterien statt Blut eigentlich Luft enthalten. Seine Kollegen wissen es freilich auch nicht besser. Die stellt Galen allerdings schon durch sein praktisches Können immer wieder in den Schatten. So rettet er durch einen beherzten Eingriff einem jungen Sklaven das Leben, der in einer Ringerschule durch einen Schlag gegen die Brust verletzt worden war. Wundbrand und Knochenfraß schienen das Schicksal des Knaben zu besiegeln. Ein Teil des Herzbeutels war bereits weggefault. Die herbeigerufenen Heiler mochten keinen Finger mehr für den Sterbenskranken rühren. Der genialische Grieche hingegen legte unbekümmert den Wundherd frei. Mit Blick auf das pochende Herz des Verletzten schnitt Galen den faulenden Teil des Brustbeins heraus. Sein Patient überlebte und gesundete bald. Der Meister zog sich nach solchen Eingriffen alsbald in die Schreibstube zurück und notierte seine Heldentaten - meist durchsetzt von giftigen Attacken gegen seine quacksalbernden Rivalen. Mit denen misst er sich ohnehin gern, häufig unter den Augen einer johlenden Menschenmenge, in heißen Wortgefechten vor dem Friedenstempel oder den Thermen des Trajan. Weil Galen neben seinem Talent vor allem ein an Dreistigkeit grenzendes Selbstbewusstsein besitzt, bleibt er in den Gefechten gewöhnlich Sieger. Die Unterlegenen verhöhnt er mit Vorliebe als Betrüger und Banditen, die kein Blut sehen könnten. Über einen Kollegen etwa spottet der hämische Doktor: "Ich habe ausprobiert, ob es möglich ist, diesen Esel aus Thessalien von seiner Meinung abzubringen, damit er nicht alle seine Patienten verliert, sondern nur ein paar, und vielleicht manchmal sogar einigen von ihnen hilft." Noch rabiater verfährt Galen, wenn er bei Hausbesuchen auf unfähige Berufsgenossen trifft. "Die gegnerischen Mediziner wurden bleicher und kälter als der Patient selbst und suchten nach Möglichkeiten der Flucht, davon ausgehend, dass ich die Eingangstür zusperren ließ." Tatsächlich lässt der Berserker immer wieder die Pforte verriegeln, um seine Kollegen in Panik zu versetzen. Der Heißsporn rühmt sich seiner Fähigkeiten als Ringer und wähnt sich darin gar manchem Profi überlegen. Dass der Überflieger seine glanzvollen Auftritte gelegentlich nur mit Hilfe von Hochstapelei inszenieren kann, ahnen seine Opfer kaum. So sammelt Galen vorbereitend alle greifbaren Informationen über die Gebrechen seiner Patienten - etwa durch ein intensives Verhör der Sklaven. Anschließend schwebt der Superheiler erhaben an das Lager des Maladen und befühlt seinen Puls. Beeindruckendes Wissen sprudelt jetzt aus ihm heraus, von dem die Umstehenden annehmen, dass der Wunderarzt es einzig durch das Befühlen des Herzschlags am Handgelenk diagnostiziert. Bei der Auswahl der Kranken indessen ist Galen nicht wählerisch. Er behandelt Aristokraten ebenso wie deren Sklaven, nimmt sich eines von Angstzuständen geschüttelten Intellektuellen an, versorgt aber auch einen tolpatschigen Schüler, der sich einen Griffel durch die Hand gebohrt hat. Oft versorgt der wohlhabende Therapeut seine Patienten auf eigene Kosten mit Medizin und Pflegepersonal. Dafür mutet er den Leidenden auch einiges zu. Von denen verlangte er unbedingten Gehorsam und Unterordnung. Wusste der Enzyklopädiker seines Fachs immer, was er tat? Vermutlich nicht, denn seine anatomischen Kenntnisse waren zeitgemäß mangelhaft. Während seines gesamten Schaffens hat Galen nie einen menschlichen Körper seziert. Und doch sind die von ihm Behandelten mit seinen Methoden vergleichsweise gut gefahren. Zudem war der gestrenge Gelehrte ein Arbeitstier erster Güte, der anscheinend jede wache Minute schuftete. Dabei träumte der Fitnessfreak offenbar davon, sich endlich einmal nach altem hellenischen Brauch der eigenen Physis widmen zu dürfen. In einer seiner Schriften hat er Zeitgenossen und der Nachwelt gestanden: "Ich bin überzeugt, dass es der richtige Lebensstil ist, von den Lasten der Arbeit befreit die Muße zu haben, sich allein um den Körper zu kümmern."

 

http://www.spiegel.de/spiegelgeschichte/0,1518,604045,00.html

Sonntag, 15. Februar 2009

IMPERIUM IN DER KRISE

Nasse Lebensadern

Die Versorgung der Städte mit Trinkwasser trieb die antiken Ingenieure zu Meisterleistungen. Aquädukte spielten eine Hauptrolle beim Aufstieg des Imperiums - teilweise funktionieren sie heute noch. Als die Schauspielerin Anita Ekberg und ihr Filmpartner Marcello Mastroianni in eleganter Abendrobe für den Filmklassiker "La dolce vita" (1960) in die sprudelnde Fontana di Trevi stiegen, war das nur möglich dank der schier unverwüstlichen Wasserbaukunst der alten Römer. Der innerstädtische Brunnen wird nämlich gespeist durch eine 21 Kilometer lange Zuführung aus Richtung der Sabiner Berge, die als "Aqua Virgo" 19 v. Chr. von Soldaten des Feldherrn Marcus Agrippa angelegt wurde. Eine Jungfrau ("Virgo") soll den Kriegern eine besonders reine Quelle gezeigt haben. Seit der Antike liefert die Aqua Virgo, vorwiegend unterirdisch geführt, Wasser in das Zentrum der Stadt. Nach der akribischen Übersicht des Direktors der römischen Wasserwerke (Curator Aquarum) aus trajanischer Zeit, Sextus Julius Frontinus, flossen damals allein auf diesem Weg täglich geschätzte 26.000 Kubikmeter Wasser. Insgesamt versorgten in der Hochzeit elf große, unter- und oberirdisch geführte Aquädukte aus einem Umkreis von rund 50 Kilometern Wohnviertel, Thermen, und kaiserliche Paläste Roms mit täglich rund 500.000 Kubikmeter Wasser. Für den antiken Naturkundler Plinius den Älteren gab es "auf der Welt nichts anderes, was größere Bewunderung verdient als die hoch aufgebauten Brückenbogen, die von Tunneln durchschnittenen Berge und die gleichmäßig überbrückten Talkessel". Sein patriotischer Zeitgenosse, Chef-Wasserwerker Frontinus, stellte das Aquäduktsystem noch über die bekannten Weltwunder wie die "ganz offensichtlich nutzlosen Pyramiden oder andere unnütze, von den Griechen errichtete Bauwerke, und mögen die Leute noch so viel davon reden!" An vielen Orten in und um Rom sind Ruinen des erstaunlichen Netzwerks zu sehen. Speziell Interessierte gelangen mit der Metro Richtung Cinecittà und dann mit dem Bus 557 zum Parco degli Acquedotti. Dort kreuzen die Bogenreihen der bis zu 27 Meter hohen, auf mehreren Kilometern noch vorhandenen Doppelleitung Claudia und Anio Novus drei ältere Aquädukte. Die immer noch gut erhaltenen Mauerreste aus Natur- und Ziegelsteinen sowie einem speziellen römischen Beton ("Opus Caementitium") waren mit einer mehrfachen Putzschicht wasserdicht gemacht worden. Da das Wasser zumeist nicht in Rohren, sondern in rechteckigen gemauerten Kanälen, sogenannten Freispiegelleitungen, floss, mussten die Baumeister genaueste Gefälleberechnungen anstellen. Entscheidendes Hilfsmittel beim Nivellieren war der Chorobat, eine Art riesige Wasserwaage in Tischform. Über Kimme und Korn wurde über eine mehrere Meter lange Holzrinne visiert und danach das Gefälle mit Messlatten im Gelände abschnittweise festgelegt. Die Ergebnisse überraschen bis heute. So weist der Anio Novus nur ein Gefälle von 1,3 Promille oder 1,30 Meter auf einem Kilometer auf. Beim großen dreistöckigen Bauwerk des Pont du Gard nahe dem französischen Nîmes kamen die römischen Besatzer gar auf 50 Kilometer Gesamtlänge der Zuleitung mit 12,27 Meter Höhenunterschied aus, um ihre Kolonie zu versorgen - ganze 0,0248 Prozent Gefälle. Kein anderer Aquädukt verläuft so sanft wie der Wassertrog von Nîmes. Die römischen Bautechniker scheuten vor keinem Gelände zurück. Einige der längsten ihrer Kunststücke finden sich gerade in grenznahen Provinzen, zum Beispiel ein rund 250 Kilometer langes Kanalsystem beim heutigen Istanbul oder die 132 Kilometer lange Wasserleitung nach Karthago, die Kaiser Hadrian mauern ließ. Auch aus dem heutigen Nettersheim in der Nordeifel führten die Römer im ersten Jahrhundert nach Christus über stolze 100 Kilometer frisches Trinkwasser in die Colonia Claudia Ara Agrippinensium, das heutige Köln. Der Eifel-Aquädukt gilt als drittgrößtes Wasserbauwerk des römischen Reiches. "Das ist eine der großen Ingenieurleistungen der Antike", urteilt Vermessungsingenieur Klaus Grewe vom Rheinischen Amt für Bodendenkmalpflege. Seit frühen Tagen haben die nassen Lebensadern wesentlich zum Aufstieg des Imperiums beigetragen. Das kleinstädtische Rom des 7. Jahrhunderts v. Chr. konnte seinen Bedarf noch leicht aus dem Tiber und einigen Quellen decken. Doch stetiges Bevölkerungswachstum und steigender Lebensstandard führten schon 320 v. Chr. zur Entscheidung, die erste Leitung, die Aqua Appia, zu bauen. Der Aquädukt transportierte, aus strategischen Gründen überwiegend unterirdisch verlegt, bestes Quellwasser aus dem 17 Kilometer entfernten Anwesen des Lukullus östlich der Stadt. Fortan wurde zuverlässige Wasserversorgung ein Schlüsselfaktor für das Wachstum der Metropole. Bis zu 600 Liter am Tag, so haben Experten ermittelt, verbrauchte der durchschnittliche Römer, im Vergleich zum heutigen deutschen Wert von 125 Litern eine fast monströse Zahl. Mitgerechnet sind dabei allerdings auch die gewaltigen Wassermengen für Thermen, Zierbrunnen, die Spülung der Abwasserkanäle - und manche Extras. So haben Archäologen unter dem Kolosseum im Stadtzentrum Roms erst 2003 verblüffende Leitungsnetze freizulegen begonnen. Danach befinden sich noch unterhalb der Abwasserkanäle aus der Zeit des Baus des Amphitheaters weitere Rohrsysteme, die in der Zeit Kaiser Neros gebaut wurden. Durch die großkalibrigen Röhren konnten offenbar große Wassermengen auf den Kampfplatz gepumpt werden, wo sich sonst Gladiatoren, Löwen oder Bären tummelten. Der römische Archäologe und Höhlenforscher Cristiano Ranieri, der selbst im Taucheranzug die Unterwelt des Kolosseums erkundet, ist sich sicher, dass die Arena zur Darstellung von Seeschlachten geflutet werden konnte. Auch das insgesamt 4000 Kilometer lange antike Abwassersystem Roms, über das die Göttin Cloacina wachte, birgt weiterhin Überraschungen. Bauarbeiter sind im Untergrund auf schiffbare Wasserreservoire und unterirdische Brunnen gestoßen, die als Nymphäen den Quellgottheiten gewidmet waren. Daneben gab es offenbar Nekropolen und manchen Geheimgang in das verzweigte Leitungssystem. Den größten Wasserbedarf entwickelten im 4. Jahrhundert die rund 860 Thermen im Stadtgebiet Roms. Mindestens ebenso viel nasser Luxus herrschte auf den Anwesen und Landgütern der Reichen, vor allem der Kaiser. So ließ Hadrian seine Residenz, die Villa Adriana 25 Kilometer östlich von Rom, mit weitläufigen Säulenhöfen, Gartenanlagen, Fischteichen, Brunnen und Zierbecken, einem künstlichen See und natürlich Thermen ausstatten; überdies gab es eine Vielzahl von noch nicht vollständig erforschten "wassertechnischen Einrichtungen", wie das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft vorsichtig meldet. Für all diese Pracht, die schätzungsweise viermal so viel Wasser verschlang wie die Versorgung der 10 000-Einwohner-Stadt Pompeji, ließ der Herrscher offenbar einfach mit einer 1,2 Kilometer langen Leitung die nahen Aquädukte anzapfen. Der gemeine Römer hingegen musste bei entdecktem Wasserraub mit herben Geldstrafen rechnen, wie Frontinus berichtet. Ein genaues Abrechnungssystem, eingeteilt nach den zehn unterschiedlichen Standard-Durchmessern der Zuleitungen von 2,9 bis 58,9 Zentimeter, sollte für eine gerechte Verteilung der Kosten sorgen. Schon den damaligen Wasserbauern kamen bei der Verwendung des giftigen Schwermetalls Blei leise Zweifel. In seinem Standardwerk über die Baukunst warnte der antike Ingenieur Vitruv im ersten vorchristlichen Jahrhundert vor Bleirohren. Tatsächlich wurde das weiche, dauerhafte Metall massenhaft für Wasserleitungen in der antiken Stadt verwendet, selbst in Hadrians Villa dienten Bleirohre als Druckleitungen. Waren die grauen Röhren am Ende mit für Roms Niedergang verantwortlich? Ein US-amerikanischer Bundesausschuss für Umweltqualität brachte in den siebziger Jahren die Unfruchtbarkeit und geistige Verwirrung mancher Kaiser mit Bleivergiftungen in Zusammenhang; damals hatte auch der SPIEGEL über die Hypothese berichtet. Die Mehrzahl der Kaiser und viele Senatoren, behauptete in den Achtzigern der kanadische Arzt Jerome Nriagu, hätten an der Bleigicht gelitten - Roms Untergang sei buchstäblich aus der Wasserleitung gekommen. Beweise allerdings blieb der Mediziner schuldig. Untersuchungen an Skeletten aus der spätrömischen Zeit hatten die gewagte Vermutung jedenfalls nicht weiter stützen können. Lediglich in Knochenfunden aus Karthago war Blei nachzuweisen. Wer Roms Aquädukte mit dem Reichsende in Verbindung bringen will, sollte sich darum wohl eher auf die Belagerung der Stadt durch die Ostgoten seit 537 berufen: Sie kappten alle Wasserleitungen. Damit durch die trockenen Zuleitungen kein Gote eindringen konnte, ließ der Verteidiger Belisar die Einmündungen in die Stadt eigens zumauern. Das brachte Thermen und Mühlen wenigstens zeitweise zum Stillstand; nach diesem ersten schweren Schlag begann der Verfall. Es sollte nach dem Ende Roms fast 1500 Jahre dauern, bis mitteleuropäische Städte wieder den Standard der römischen Wasserversorgung erreichten.

 

http://www.spiegel.de/spiegelgeschichte/0,1518,604044,00.html

Samstag, 14. Februar 2009

Poseidon

Poseidon (griechisch Ποσειδν) ist in der griechischen Mythologie der Gott des Meeres und Bruder des Zeus. Das Pferd ist ihm heilig.

In der etruskischen Mythologie wurde er dem Nethuns gleichgesetzt, in der römischen dem Neptun. In der Tiefe des Meeres steht sein kristallener Palast.Inhaltsverzeichnis Nach der Auffassung von Herodot war Poseidon ursprünglich ein libyscher Gott. Poseidon war Gott des delphischen Orakels, bevor Apollon dies übernahm, und mit Athene auch der Schutzgott der Stadt Athen. Auch war er der Schutzgott der Stadt Pylos. In Eleusis galt er als Vater des Königs Oilmophos, in Troizen als Vater des Theseus. Außerdem gab es ihm zu Ehren einen Hippioskult, da das Pferd zu seinen Attributen gehörte. Im Attischen Kalender gab es einen ihm geweihten Monat. Seefahrer beteten zu Poseidon für eine sichere Überfahrt und opferten ihm Pferde, die sie im Meer versenkten. Wenn er gut gelaunt war, erschuf Poseidon neue Inseln und ließ die See still und schiffbar sein. Wenn er ergrimmte, stach er mit seinem Dreizack in die Erde, verursachte so Erdbeben, Überschwemmungen und brachte Schiffe zum Sinken. In der Kunst wird Poseidon mit einem Streitwagen dargestellt, der von großen Hippokampen gezogen wird. Oft wird er mit dem Dreizack zusammen mit Delphinen dargestellt. Manchmal wird er gemeinsam mit Athene dargestellt, da er sich mit ihr um die Herrschaft von Attika gestritten hat. Häufig findet man auch Darstellungen der Hochzeit des Poseidon mit Amphitrite, die meist auf einem Wagen gezogen von Pferden, begleitet von Triton und Nereiden dargestellt sind. Im Archäologischen Nationalmuseum von Athen steht die antike, 2,09 m große Bronzestatue des "Gottes aus dem Meer", häufig als "Poseidon von Kap Artemision" (Fundort an der Nordspitze Euböas) bezeichnet. Inzwischen sind die meisten Archäologen jedoch der Ansicht, dass es sich dabei um eine Zeusstatue handelt, die in der leeren rechten, erhobenen Hand ein waagerechtes Blitzbündel trug, da Zeus der einzige Gott mit diesem Attribut ist. Poseidon hielt seinen Dreizack in antiker Darstellung nie waagerecht. Vergleiche der Gesichtsformen mit anderen Skulpturen des Strengen Stils des 5. Jahrhunderts unterstützen diese These. Poseidon ist der Sohn des Kronos und der Rhea. Nach seiner Geburt verschlang ihn sein Vater, und erst sein letztgeborener Bruder Zeus errettete ihn und seine anderen Geschwister mithilfe der Titanen. Als die Welt in drei Teile geteilt wurde, erhielt Zeus den Himmel, Hades (ein weiterer Bruder Poseidons) die Unterwelt und Poseidon den Ozean.

Poseidon war mit Amphitrite verheiratet und hatte mit ihr den Sohn Triton und die Töchter Rhode und Benthesikyme. Zahlreiche Liebschaften - oft mit Meernymphen (Nereiden, Okeaniden) - führten zu weiteren Kindern, wie z. B. dem Riesen Orion, dem Pferd Arion und dem einäugigen menschenfressenden Zyklopen Polyphem. Der Pegasus, das geflügelte Pferd, Sohn der Medusa, war ebenfalls ein Kind des Poseidon. Poseidon hatte auch 5 Zwillingspaare mit der sterblichen Kleito, der einzigen Bewohnerin der Insel Atlantis. Die 10 Kinder dieser Verbindung waren Atlas & Gadeiros alias Eumulus, Ampheres & Euaimon, Mnaseas & Autochthon, Elasippos & Mestor, Azaes & Diaprepes. Unter ihnen teilte er das Land (Atlantis) auf und machte sie zu den 10 Königen von Atlantis, wobei Atlas die Herrschaft von Poseidon übernahm und so der erste unter ihnen und König der Hauptinsel wurde. (Atlas ist nicht mit dem Titan Atlas zu verwechseln.) Mit der Erdgöttin Gaia soll er eine Liebschaft gehabt haben; aus dieser ist Antaios entstanden. Zu Poseidons Söhnen zählt der Ringkämpfer Kerkyon. Er liebte auch den jungen Pelops und schenkte ihm ein prächtiges Gespann. Manche Quellen sprechen davon, Poseidon sei der Vater des Brüderpaares Otos und Ephialtes, den Aloiden, deren Mutter Iphimedeia ist.

Athene und Poseidon stritten um die Schutzherrschaft über Attika. Kekrops I., der König Attikas, entschied, dass beide Götter den Menschen Attikas ein Geschenk machen sollen. Derjenige, der das bessere Geschenk gäbe, sollte die Herrschaft erlangen. Der Wettbewerb wurde auf dem Felsen ausgetragen, auf dem später die Akropolis entstehen sollte. Poseidon stieß seinen Dreizack in den Fels und ließ einen Wasserquell sprudeln (nach anderen Quellen einen Salzwasserquell, oder er gab das Pferd zum Geschenk). Athene pflanzte den Attikern den ersten Olivenbaum. Kekrops entschied sich für das Geschenk der Athene, und die Hauptstadt von Attika wurde Athen genannt. Aus Wut darüber, dass Kekrops sich für Athenes Geschenk entschieden hatte, verdammte er ihn dazu, nie wieder Land berühren zu dürfen - entweder bis zu seinem Tod oder bis ihn die Liebe erlöst. Athene gab ihm Unsterblichkeit und somit die Hoffnung, irgendwann von seinem Schiff der Verdammnis herunter zu kommen. Weil einmal Poseidon und Apollon Zeus beleidigt hatten, mussten sie König Laomedon von Troja dienen. Er ließ sie große Mauern um die Stadt bauen und versprach den Göttern, sie reich zu belohnen, ein Versprechen, das er nach Fertigstellung der Mauern brach. Voller Wut schickte Poseidon ein Meeresungeheuer. Ihm sollte zur Begütigung Hesione, die Tochter Laomedons (die er mit Leukippe hatte), geopfert werden, die aber von Herakles gerettet wurde. Er gab sie seinem Gefährten Telamon zur Frau. Am bekanntesten ist Poseidon für seinen unerbittlichen Hass auf Odysseus, zumal dieser auf seiner zehnjährigen Odyssee seinen Sohn Polyphem blendete, wie Homer berichtet. Außerdem hatte Odysseus das dem Poseidon heilige Pferd dazu missbraucht, die Trojaner hinters Licht zu führen. In Platons Atlantis-Dialogen wird Poseidon als Stammvater des Herrschergeschlechtes von Atlantis dargestellt. Sein Sohn Triton ist der Nachfolger von Poseidon.

Montag, 2. Februar 2009

Hestia

Hestia ist eine Göttin der antiken griechischen Mythologie, des Familien- und Staatsherdes, des Herd- und Opferfeuers und der Familieneintracht, eine der zwölf oberen Gottheiten. Sie war die älteste Tochter des Kronos und der Rhea, Schwester des Zeus, wurde von ihrem Vater verschlungen, aber durch die List ihrer Mutter gerettet.

Sie war eine jungfräuliche Göttin, die, obwohl Poseidon und Apollon um sie warben, ewig Jungfrau zu bleiben schwur und der Zeus auf diesen Wunsch hin immerwährende Jungfräulichkeit gewährte.

Auf einem Fest der Götter wollte der lüsterne Gott Priapos die schlafende Hestia vergewaltigen. Das Geschrei eines Esels bewirkte, dass Hestia aufwachte und fliehen konnte. Aus Wut wurde das Tier von Priapos erschlagen.

Als Dionysos in die olympische Götterfamilie aufgenommen werden sollte, trat Hestia aus dem Amt zurück und gab den Platz frei.

Wie der ihr heilige Herd der Mittelpunkt des häuslichen Lebens war, so war sie die Göttin der Häuslichkeit und alles häuslichen Segens, und da man den Göttern auf dem Herd opferte, so brachte man ihr, als der Vorsteherin der Opfer, beim Opferschmaus zu Anfang und zu Ende heilige Spenden dar. Bei dem Herd und bei dessen Göttin schwur man heilige Eide; bei Verträgen wurde Hestia vor allen Göttern angerufen. Der Herd war ein Asyl für Schutzflehende und Hestia mit Zeus die Schutzgottheit derselben. Naturgemäß wurde die Schutzgöttin des Hauses auch Beschützerin jeder staatlichen Vereinigung. Deshalb war in den griechischen Staaten das Prytaneion der Hestia geweiht, und sie hatte dort einen Altar, auf dem ihr zu Ehren ein ewiges Feuer unterhalten wurde. Von diesem Altar nahmen die in die Ferne ziehenden Kolonisten Feuer mit für den Herd ihrer künftigen Niederlassung.

Die der Hestia entsprechende und später ihr gleichgesetzte Göttin der Römer ist die Feuergöttin Vesta, die aber im öffentlichen Leben derselben eine ungleich wichtigere Rolle spielt.

Dem reinen und keuschen Wesen der Göttin entsprechend, konnte ihre künstlerische Darstellung nur den Ausdruck der strengsten Sittlichkeit an sich tragen. Man pflegte sie sitzend oder ruhig dastehend mit ernstem Gesichtsausdruck und stets völlig bekleidet darzustellen. Im ganzen gab es im Altertum nur wenige Statuen der Hestia, die berühmteste war die des Skopas. In erhaltenen Statuen ist Hestia noch nicht sicher nachgewiesen; man bezieht auf sie gewöhnlich die sagen. „Giustinianische Vesta“ im Museo Torlonia in Rom, eine weibliche Gewandstatue strengen Stils, etwa aus der Zeit der Giebelfiguren des Zeustempels zu Olympia und diesen formenverwandt. Auf römischen Münzen erscheint sie mit dem Palladion und Simpulum.